Kosoko Jackson: The Macabre

Manchmal finde ich Bücher, die sind für mich geschrieben, und jede Seite ist genauso, wie sie sein muss, um mich mit Glück zu erfüllen. Und manchmal kommt ein Buch, das sieht aus, als würde es alle meine Kriterien erfüllen – nur um mir während der Lektüre dann eine lange Nase zu drehen. Solche Bücher enttäuschen mich mehr als welche, wo schon der Klappentext eher meh ist und die ich nur lese, weil sie mir auf dem einen oder anderen Weg ins Haus geflattert sind und ich Platz auf meinem SuB machen möchte. Die Fallhöhe ist einfach größer. Und leider fällt auch The Macabre von Kosoko Jackson in diese enttäuschende Kategorie. Ich wollte das Buch wirklich lieben. Aber ich konnte es nicht.

Dabei schien dieses Buch, das ich im Oktober aus der Locked Library gezogen habe, genau das richtige für mich zu sein: Eine gruselige Geschichte über verfluchte Bilder und einen getriebenen Maler, der in sich die Magie entdecken muss, um die Welt vor dem schmerzbringenden Erbe seines Vorfahren zu beschützen. Eine Sammelquest noch dazu, denn die Bilder, über die ganze Welt verstreut, müssen überhaupt erst einmal wiedergefunden werden! Der Protagonist endlich mal wieder kein siebzehnjähriges Mädchen, sondern ein erwachsener Mann in seinen Dreißigern, Schwarz, schwul, versprach auch interessant zu sein – aber dann hat mich das Buch leider spätestens in der zweiten Hälfe verloren, und statt wohligem Grusel blieb am Ende nur kalte Enttäuschung übrig.

Dabei habe ich es wirklich mit gruseligen Bildern, echten wie fiktiven. Ich werde nie vergessen, wie ich 1994 im Art Institute of Chicago vor dem Bild einer Tür stand, hinter der alles Unheil der Welt verschlossen zu sein schien. That Which I Should Have Done I Did Not Do von Ivan Albright ist ein Meisterwerk, das seinen Nachbarn, das leibhaftige Bildnis des Dorian Gray (von Albright für die Verfilmung gemalt), für mich weit in den Schatten stellte, weil es sich auf Andeutungen beschränkte, wo das Gray-Portrait fies und plakativ war. Oder der Schauder, den ich im Essener Folkwang-Museum angesichts Böcklins Bild Schloss am Meer hatte, als, je länger ich es betrachtete, immer mehr Figuren in dem düsteren Gemälde auftauchten und mir die Geschichte eines unheimlichen Mordes erzählten. Oder der Grusel von M.R. James‘ Geistergeschichte Der Kupferstich (The Mezzotint), in der ein Bild zum Leben erwacht …

Sowas hatte ich also erwartet, als ich mich an die Lektüre von The Macabre gemacht habe. Das Buch sehr düster in seiner Aufmachung – tatsächlich so düster, dass Titel und Verfasser auf dem Cover kaum zu entziffernd sind – war zwar nicht das Schönste, das ich jemals gesehen hatte, aber irgendwie anziehend. Ich machte mich direkt Ende Oktober ans Lesen, fand das Buch fesselnd und faszinierend, auch wenn es dann doch weniger subtil und mit mehr plakativen Horror-Elementen als erhofft durchstartete – und dann verlor mich der Autor nach gut fünfzig Seiten mit einer dramaturgischen Entscheidung, die mir nicht gefiel, ich legte das Buch beiseite, um es erst jetzt, im Dezember, zu Ende zu lesen.

Was ich wollte, war die Geschichte von Lewis Dixon, der erfährt, dass er, selbst ein Maler, ein Nachkomme des Früh-Surrealisten Edgar Dumont ist. Edgars Werke, insbesondere ein über Jahrzehnte entstandener Bilderzyklus mit dem Titel »Das Makabre«, waren im 19. Jahrhundert ihre Zeit weit voraus, haben es aber nie zu Weltruhm gebracht und sind jetzt nur Eingeweihten bekannt – und berüchtigt, denn sie bringen den Tod. Etwas unlogisch erschien mir angesichts der Verhehrung, die diese Bilder innerhalb der Romanhandlung anrichten, dass sie erst im 21. Jahrhundert so richtig damit durchstarten und nicht schon längst die Welt in Schutt und Asche gelegt haben.

Lewis jedenfalls, als Edgars direkter Nachfahr, wird vom British Museum aus Baltimore nach London geflogen, um diese Bilder zu entschärfen, etwas, das nur er selbst vermag: Edgar und Lewis sind über mehr als nur ihre bloße Blutlinie verbunden, Lewis hat in Trance Bilder gemalt, die wie Kopien von Edgars erscheinen, und so kann er jetzt in die Bilder hineinsteigen und dort Edgar treffen, der von Bild zu Bild nicht nur altert, sondern geistig und körperlich immer mehr verfällt – und wenn es Lewis gelingt, den Titel des jeweiligen Bildes zu erfahren, kann dessen Bann gebrochen werden. Leider geht das nicht ohne Blutvergießen – sehr, sehr viel Blutvergießen. Das British Museum hat bereits zahlreiche Agenten verloren beim Versuch, die Bilder zusammen- und nach London zu bekommen, und auch Lewis muss verstehen, dass er in größter Gefahr schwebt. Doch da ist auch noch der gutaussehende Agent Noah Rao …

Ja, das British Museum hat Agenten – und das nicht nur im 007-Sinn: Es ist die Schaltzentrale des britischen Magiewesens, und alle, von Noah bis hin zur Direktorin Evangeline Thompson, sind talentierte, mehr oder weniger mächtige Magier. Und was wie ein Gruselroman daherkam, ist mehr eine Urban Fantasy-Geschichte mit viel Magie, lebenden Häusern, Zeitreisen, und Teleportation in alle Länder der Erde, drunter tun wir es nicht. Auch Lewis hat magisches Potenzial, das er natürlich erst einmal entwickeln muss, und auch seine zu Beginn der Handlung viel zu früh verstorbene Mutter war in die Verstrickungen des British Museums um Edgars Oeuvre verwickelt.

Dabei ist der Blick des amerikanischen Autors – Jackson ist selbst Schwarz – auf das British Museum und dessen kolonialgeschichtliche Sammlung ziemlich sezierend, die dazuerfundene Magie mal außen vor gelassen. Es geht um Großmachtstreben, das hier allein von der britischen Krone ausgeht und angesichts dessen die Vereinigten Staaten mehr eine Opferrolle einnehmen, und natürlich sind dann auch das Museum und seine Direktorin eher zwielichtige Auftraggeber. Trotzdem, aus alldem hätte man immer noch ein richtig gutes Buch machen können, hätte Jackson nicht ein paar Entscheidungen getroffen, die The Macabre dann richtig runterziehen.

Das Erste, was mich im Oktober aus dem Buch gekegelt hat, ist die Entscheidung, neben Lewis eine zweite Perspektive ins Spiel zu bringen. Cassandra arbeitet aktiv gegen das Museum, geht selbst über Leichen, um die Bilder in ihren Besitz zu bringen, und sie hätte eine viel, viel interessantere Figur abgegeben, würde sie nicht alle paar Kapitel ans Steuer der Geschichte gelassen. Das reißt jedes Mal aufs Neue aus dem Fluss der Handlung, trägt erstaunlich wenig zur Wahrheitsfindung bei, weckt keine Sympathien und nimmt Spannung aus der Handlung raus. Überhaupt ist das Buch nicht gut darin, Ambivalenz zu erzeugen bzw. zu halten. Zu früh wird aufgedeckt, wer die eigentlichen Widersacher sind, und was dann folgt, ist ein unnötiges Actionspektakel mit Folter- und Gewaltszenen, die ich exzessiv und abstoßend fand, und durch das letzte Drittel des Buches musste ich mich dann regelrecht durchquälen.

Auch die von mir so geschätzte Sammelquest bleibt auf der Strecke. Da gibt es eine richtig tolle Szene, in der Lewis in Trance mit seinem Blut eine Szenerie malt, die einen Hinweis auf den Aufenthaltsort des nächsten Gemäldes gibt – nur damit es danach von Schurkenseite heißt »Um die Bilder zu finden, brauchen wir deine Fähigkeiten überhaupt nicht, die bekommen wir auch so«, und danach hat es sich mit dem Rätseln und Suchen, alle weiteren Bilder werden dann ganz selbstverständlich aus dem Nichts herbeigezaubert. Das ist Teil eines größeren Problems mit dem Buch: Das Tempo stimmt nicht. Ich habe das Gefühl bekommen, Jackson hätte nach der Hälfte der mit dem Verlag vereinbarten Wortzahl gemerkt, dass noch viel zu viel Plot übrig ist und, um nicht den Rahmen zu sprengen, die Schlagzahl gewaltig erhöht, was auf Kosten der Spannung, der leisen Töne, geht.

Dabei bleiben die Figuren ziemlich blass. Vor allem Edgar, Lewis‘ getriebener Vorfahr, ist kaum mehr als ein Abziehbild, der – was mich dann wieder an Albrights Dorian Gray erinnert hat – vor keiner Abscheulichkeit zurückschreckt und immer verderbter wird, je öfter Lewis ihn trifft. Die symbiontische Beziehung zwischen den beiden Malern hätte viel Potenzial geboten, aber das wird verschenkt, auch, weil Lewis‘ eigene Entwicklung zu weit hinter den Möglichkeiten zurückbleibt. Da verliert er erst seine dominante Hand, hat einmal kurz Phantomschmerzen, lernt dann Telekinese und hat nie wieder Probleme damit. Und auch alle anderen emotionalen Opfer, die für die Neutralisierung der Bilder bringt, alle Folter, die er übersteht, hinterlassen ihn als ziemlich genau den Charakter, der er vorher schon war. Zwar beschreibt das Buch ihn dann als an jeder möglichen Stelle gebrochen, aber spiegelt sich weder in seinem Verhalten, noch seinem Denken oder Reagieren, wider. Und so wartet das Buch mit viel Blut und Horror auf, aber mit den psychologischen Elementen wirkt der eigentlich erfahrene Autor, der hier nach zahlreichen Jugendbüchern sein erstes Werk für Erwachsene abgeliefert hat, überfordert.

Mit dem Schluss verliert das Buch mich dann gänzlich. Der wird so abgehetzt abgefrühstückt, dass es ein Jammer ist – Lewis ereilt eine bahnbrechende Erkenntnis, er trifft Edgar ein letztes Mal, legt bedeutungsschwanger eine Hand auf ein Gemälde, und das war’s, alle sind erlöst, und was außerhalb des Bildes parallel passiert ist, erfahren wir hinterher per Nacherzählung aus zweiter Hand. Da wird ein:e Antagonist:in sang- und klanglos im Off erledigt, der Showdown, auf den es das halbe Buch über hinausgelaufen ist, findet nicht statt, und stattdessen gibt es dann einen ziemlich langen und unnötigen Epilog, um alle losen Fäden wieder zusammenzubringen und das letzte bisschen noch übriger Spannung im Keim zu ersticken.

Ich weiß nicht, welches der in meinen Augen größte Fehler des Buches ist. Da sind zu viele Stellen, bei denen ich sagen würde, da ist der Autor falsch abgebogen, aber vielleicht muss ich den Grund für meine Enttäuschung bei mir selbst suchen, bei meiner eigenen Erwartungshaltung. Schließlich macht Jackson auch einiges richtig: Da sind die wirklich gut recherchierten kunstgeschichtlichen Aspekte des Buches, die mir gut gefallen haben, die Beschreibung der verfluchten Bilder, zumindest der ersten, denen noch richtig Raum in der Handlung eingeräumt wird, ist so atmosphärisch, dass ich sie mir plastisch, bis hin zu einzelnen Pinselstrichen, vorstellen konnte, und die Prämisse war ja auch toll. Aber ich wollte sanft anschwellenden Grusel, keinen bluttriefenden Horror, und da hat mir The Macabre einfach nicht das gegeben, was ich haben wollte.

Ich kann dieses Buch, wie auch alle anderen, nicht objektiv bewerten, dafür ist zu viel am Lesen persönliches Empfinden, und jedes Buch muss sich an der eigenen Erwartungshaltung messen lassen. Hier sehe ich aber auch vieles, das ich als objektiv suboptimal empfinde – das Tempo, die verschenkte Psychologie, die unnötige Schurkinnenperspektive, das beiläufige Abfrühstücken der späteren Bilder, sodass ich denke, ich kann dieses Buch eher nicht empfehlen, auch nicht denen, die auf der Suche nach einem bluttriefenden Horrorroman sind – denen werden wohl schon die Urban-Fantasy-Aspekte zu viel sein. So bleibt mir nicht viel zu tun, als dieses Buch abzuhaken und mich anderen zuzuwenden. Es ist nicht missraten, aber mittelmäßig, und für mittelmäßige Bücher muss man keine Zeit vergeuden, solange es ein so großes Angebot an Besseren gibt.

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