bookmark_borderVictoria Holt: Das Haus der Sieben Elstern

Ich habe nie erwartet, dass dies ein gutes Buch sein würde. Tatsächlich rechnete ich mit dem Schlimmsten, als ich es aus der Bücherei mitnahm – aber ich wollte einen Schmöker, in dem sich alte Familiengeheimnisse um ein noch älteres Haus ranken, und da erschien es mir geeignet. Es gibt viele solcher Haus-Geheimnis-Bücher, und sie machen mir für gewöhnlich zumindest Spaß. Ich mag geheimnisvolle Häuser. Und da es am Ende ohnehin an die Bücherei zurückgeht, kann es ruhig schlecht sein.

Nun hatte ich ja alle Allingham-Bücher in München zurücklassen müssen – bis auf Gefährliches Landleben, aber das kannte ich ja schon – und brauchte für die Rückfahrt etwas zum Lesen. Sechseinhalb Stunden Zugfahrt sind kein solches Vergnügen, wenn man nichts zu tun hat, und so nahm ich mir Das Haus der Sieben Elstern vor. Ich erwartete nichts – und das bekam ich dann auch.

Victoria Holt ist eine Autorin, die ihre Bücher gern in der Viktorianischen Ära ansiedelt – nicht aus historischem Interesse oder weil sie sich damit besonders gut auskennt, sondern weil sie dann ein Alibi hat, ihre Heldinnen in Krinolinen zu stecken und am Ende mit Mr. Right (oder in der Mitte mit Mr. Wrong) zu verheiraten, ohne dass man ihr Verrat an der Frauenbewegung vorwerfen müsste. Auch in diesem Buch ist die Ära mehr eine nominelle Sache, eine Phantasiewelt, in der alles irgendwie rosig ist und es die Hauptsorge greiser Pächterswitwen ist, dass man ihnen zum Geburtstag einen Mohnkuchen backt, wo sie doch lieber Marmeladenbrote essen wollen. Not und Elend?… Weiterlesen “Victoria Holt: Das Haus der Sieben Elstern”

bookmark_borderMargery Allingham: Gefährliches Landleben

Da muss ich jetzt eigentlich von Christoph erzählen. Der ist in München, was nicht wirklich zum Wort Landleben im Titel passt, aber er ist nun einmal da, für ein halbes Jahr, und macht ein Praktikum. Er hat ein kleines möbliertes Zimmer in einer WG, wo gerade das Nötigste reinpasst, und mehr als das Nötigste hat er auch gar nicht mitgenommen. Seine Bücher zum Beispiel hat er zuhause gelassen. Aber wofür ist seine Freundin ein Buchmensch? Und so ist es nun an mir, ihn mit Lesefutter zu versorgen. Am Wochenende bin ich hingefahren, und er bat mich also, ihm etwas zu lesen mitzubringen. Irgendwelche Krimis.

Nun könnte ich das machen wie in der Reklame und sagen »Irgendwelche Krimis habe ich nicht« – aber das stimmt nicht, natürlich habe ich auch irgendwelche Krimis, noch aus den Zeiten, als ich mich blind durch alle Antiquariate und Wühlkisten Kölns gekauft habe, um mit steigenden Bücherzahlen gegen sinkende Leselust anzukämpfen. Da ist viel, viel Schrott dabei, und vieles davon habe ich nie gelesen. Aber wenn es darum geht, meinem Freund im fernen München einen angenehmen Leseabend zu bereiten, muss etwas Gutes her. Etwas wirklich Gutes. Und so griff ich kurzentschlossen und zielsicher ins Regal und holte meine ersten vier Bücher von Margery Allingham heraus – Gefährliches Landleben, Hüter des Kelches, Polizei am Grab und Süße Gefahr.

Köstliche Krimis, die ich zur Zeit meines Abiturs gelesen und später während des Studiums sukzessive zusammengekauft habe (überwiegend antiquarisch, denn die guten schwarz-gelben Diogeneskrimis waren damals doch schon recht teuer).… Weiterlesen “Margery Allingham: Gefährliches Landleben”

bookmark_borderJacqueline Wilson: Charlies Doppelleben

Bei Computerspielen für Kinder ist der Begriff Edutainment – die Kombination aus Unterhaltung und der Vermittlung von Wissen – in aller Munde, das Konzept bewährt und anerkannt. Was liegt näher, als auch den Buchmarkt mit solchen Amalgame zu beglücken? Und was liegt näher, als dass dieser Versuch gründlich in die Hose gehen wird?

Betrachtet man Charlies Doppelleben als ein solches Experiment, muss man sagen: Guter Versuch, aber am Ziel vorbei. Es ist offenbar schwierig, ein pädagogisch wertvolles Buch zu einem guten Buch für Kinder und Erwachsene zu machen: Entweder entdecken die Erwachsenen inhaltliche Mängel, oder die Kinder finden das Ergebnis langweilig. Muss wohl zumindest Jaqueline Wilson gedacht haben, und verknüpfte ihre akribisch recherchierte Geschichte eines minderjährigen Dienstmädchens der Viktorianischen Ära mit einer zeitgenössischen Rahmenhandlung. Sie hätte nicht versuchen dürfen, es allen Seiten recht zu machen. Denn das Ergebnis – unterhaltsam auf der einen Seite, informativ auf der anderen – ist eines nicht geworden: Ein gutes Buch.

Wir haben es in dieser Geschichte mit einem Doppelten Lottchen zu tun. Leider war das als Buchtitel schon vergeben, weswegen die Übersetzerin oder der Oetinger-Verlag auf das eher unglückliche Charlies Doppelleben zurückgegriffen haben. Der englische Originaltitel The Lottie Project trifft es da deutlich besser: Denn Lottie ist nicht Charlies geheimes Alias, sondern eine von ihr erfundene Viktorianerin für eine Geschichts-Projektarbeit.

Die »echte« Charlotte lebt im England Ende der neunziger Jahre. Sie gerät mit ihrer Geschichtslehrerin aneinander und mit dem Klassenstreber Jamie, findet ihre Freundinnen manchmal zu seicht und hat es mit ihrer alleinerziehenden, aber durchaus patenten Mutter eigentlich ganz gut getroffen.… Weiterlesen “Jacqueline Wilson: Charlies Doppelleben”

bookmark_borderRoald Dahl: Charlie und die Schokoladenfabrik

Zu Roald Dahl habe ich ein leicht gespaltenes Verhältnis. Als Kind konnte ich relativ wenig mit ihm anfangen und entdeckte ihn später als brillanten Zyniker mit Küsschen Küsschen. Ich halte ihn für einen guten, sogar einen herausragenden Autoren, aber ich glaube, es gibt bessere. Sein Sarkasmus wirkt manchmal aufgesetzt und sein Humor ist nicht immer der meine – ich mag es böse, aber nicht grausam; ich mag Nonsens, aber keine Albernheit. Nach der Verfilmung von Hexen Hexen beendete ich unsere Beziehung bis auf weiteres, um ihn Jahre später durch eine andere Verfilmung wiederzuentdecken: Charlie und die Schokoladenfabrik.

Ich bin mir sicher, dass ich dieses Buch schon Anfang der Neunziger einmal gelesen habe, aber es kann mich nicht wirklich vom Hocker gerissen haben, sonst wäre es mir besser im Gedächtnis geblieben. Der Film dagegen – der neue Film, mit Johnny Depp als Willy Wonka – begeisterte mich von vorn bis hinten: Brillante Story, Schauspieler, Regie, Einfälle… Und ich beschloss, das Buch noch einmal zu lesen. Am besten im englischen Original, aber ich nehme, was ich bekomme, und da die Bücherei es nur auf Deutsch hatte, so ist das immer noch besser als gar nichts. Ich las es also wieder nur auf Deutsch, und vielleicht ist das der Grund, warum ich jetzt sagen muss: Dies ist einer der seltenen Fälle, wo der Film besser ist als das Buch. Und zwar deutlich.

Die Geschichte ist simpel: Der bettelarme Charlie bekommt durch Glück die Gelegenheit, Willy Wonkas sagenumwobene Schokoladenfabrik zu besichtigen, gemeinsam mit vier weiteren Kindern, allesamt ebenso verzogen wie unerträglich, jedes von ihnen eine wandelnde Todsünde: Augustus Gloop (Völlerei), Verucca Salt (Habgier), Violet Beauregarde (Hochmut) und Mike Teevee (Trägheit), während der herzensgute Charlie alle acht Kardinalstugenden in sich vereint.… Weiterlesen “Roald Dahl: Charlie und die Schokoladenfabrik”

bookmark_borderJean Webster: Daddy Langbein

Kein Buch aus der Bücherei, und keines, das ich zum ersten Mal lese – nein, es ist mein eigenes, und es ist mindestens das dritte Mal und ganz sicher nicht das letzte. Beim ersten Mal war ich fünfzehn und das Buch aus der Bücherei. Beim zweiten Mal war ich zwanzig und hatte das Buch passenderweise auf dem Flohmarkt der Heilsarmee erstanden. Und jetzt hatte ich einfach wieder Lust darauf. Es ist ein tolles Buch. Ich brauchte ein tolles Buch. Das Gemini-Projekt hatte zuviel von meiner positiven Leseenergie aufgebraucht. Da mußte etwas Bewährtes her. Und als ich im Internet durch Zufall auf die Anime-Verfilmung von Daddy Longlegs stieß, bekam ist plötzlich wieder Lust, dieses Buch zu lesen. Und fand mich wenige Minuten später im Wohnzimmer wieder, die Beine hochgelegt, eine Decke über den Knien und diese Blüte der amerikanischen Mädchenliteratur in Händen. Und las, und las, und genoß wie damals und damals.

Dem Genre »Mädchenbuch« haftet irgendwie etwas Negatives an, als ob kein männliches Wesen jemals an einem dieser Bücher Gefallen finden könnte, es impliziert etwas Abgedroschenes, Schmonzettiges – als wäre es nur ein kleiner Schritt vom Mädchenbuch hin zu Rosamunde Pilcher und dem Echo der Frau. Ich verwende den Betriff jedoch weder ab- noch aufwertend für eine Untergruppe des Adoleszenzromans, in dem sich junge Frauen ihren Platz in der Gesellschaft schaffen. Und der ist nicht immer da, wo die zeitgenössischen Konventionen ihn gerne gesehen hätten. Vor allem in diesem Buch.

1912 erschienen, fällt Daddy Long-Legs in die gleiche Epoche wie Anne of Green Gables-Reihe, deren erster Band 1908 erschien.… Weiterlesen “Jean Webster: Daddy Langbein”