bookmark_borderMizuki Tsujimura: Lonely Castle in the Mirror

Seit Anfang des Jahres habe ich über dreißig Bücher gelesen, und die meisten von ihnen waren auf Englisch. Ich bevorzuge Bücher im Original gegenüber Übersetzungen, aber das funktioniert natürlich nur dann, wenn ich in der Lage bin, die Originalsprache zu verstehen, und das schränkt meinen Lesehorizont doch ziemlich ein. Es gibt so viel mehr Sprachen, in denen Bücher geschrieben werden als nur Deutsch und Englisch, und es ist gut, dass es Übersetzer:innen gibt, auch wenn immer noch der größte Teil dessen, was dann auf Deutsch erscheint, aus dem Englischen übersetzt wird, was ich auch so lesen kann. Aber Lonely Castle in the Mirror ist, trotz des englischen Titels, ein Buch auf Deutsch, und mit seiner Originalfassung wäre ich nicht weit gekommen – da heißt das Buch Kagami no Kojō, und Japanisch ist eine Sprache, in der ich wirklich keine Bücher lesen kann. Gesprochen verstehe ich tatsächlich drei Brocken, aus der Zeit, als ich wirklich viele Anime geschaut habe, aber mit drei Brocken kommt man nicht weit, erst recht, wenn man die Schrift nicht beherrscht.

Tatsächlich war das wohl der erste aus dem japanischen übersetzte Roman, den ich jemals gelesen habe. Vor gut zwanzig, fünfundzwanzig Jahren, als ich auch meine Anime-Phase hatte, habe ich auch eine Menge Manga konsumiert, aber eben noch keine Romane, noch nicht einmal einen Murakami, und nun war es an der Zeit, dieses Defizit anzugehen. Ich hätte Lonely Castle in the Mirror auch als Manga-Adaption lesen können, oder mir die Anime-Fassung anschauen, aber der Roman ist nicht das Buch zum Film, sondern die Vorlage für beides, und ohne wirklich zu wissen, was mich da erwartet, habe ich mir den Roman gekauft, der in der Übersetzung von Ruben Grest im Hayabusa Verlag erschienen ist.… Weiterlesen “Mizuki Tsujimura: Lonely Castle in the Mirror”

bookmark_borderWolfgang Herrndorf: Tschick

Mein Vater war Lehrer in der Jugendpsychiatrie – bevor er pensioniert wurde, heißt das. Er hatte eine ganze Reihe verhaltensauffällige Achtklässler, Kinder aus verkorksten Elternhäusern, vernachlässigte Schulschwänzer, das ganze Spektrum jugendlichen Elends. Sicherlich auch Schüler wie Maik oder Tschick. Ich glaube nicht, dass er dieses Buch lesen möchte. Nicht, weil er so froh ist, diese Welt hinter sich gelassen zu haben, als der Schuldienst vorbei war, aber weil er das nicht auch noch mit nach Hause nehmen will. Er war immer bewundernswert gut darin, über den Dingen zu stehen und das nicht an sich heranzulassen, anders als ich, weswegen ich keine Lehrerin geworden bin und das erst recht nicht in der Psychiatrie. Ich nehme mir immer alles furchtbar zu Herzen, und darum hat auch dieses Buch mich stellenweise ziemlich fertiggemacht, obwohl es ein Jugendbuch ist und ich eine lang erwachsene Frau.

Ein Roadmovie sollte es sein, versprach der Klappentext, quer durch die ostdeutsche Provinz, »unvergesslich wie die Flussfahrt von Tom Sawyer und Huck Finn.« Darüber habe ich mich natürlich aufgeregt, ich rege mich immer auf, wenn irgendwo Blödsinn steht, denn natürlich war mitnichten Tom Hucks Reisekamerad auf der Floßfahrt, sondern der Sklave Jim. Zur Ehrenrettung der Büchergilde, bei der ich Tschick erstanden habe, ist das zumindest in der Beschreibung im Onlineshop inzwischen korrigiert. Ich bin also offenbar nicht der Einzige, der sich da aufgeregt hat. Trotzdem, da ich Huckleberry Finn sehr gerne mag (und das viel, viel lieber als Tom Sawyers Abenteuer, hat mich doch dieser Vergleich dazu bewogen, das Buch zu kaufen.… Weiterlesen “Wolfgang Herrndorf: Tschick”

bookmark_borderGunilla Banks: Fräulein Lindbloms Klasse 2E

Unsere Pfarrbücherei, in die ich sehr oft ging, bevor ich Fahrschülerin wurde und mir mit meiner Monatskarte die große Stadtbücherei näher rückte, hatte sicher mehr als ein Dutzend Bücher, aber es ergab sich, dass ich mir irgendwie immer wieder die gleichen auslieh, mit schöner Regelmäßigkeit einmal pro Jahr. Am besten von allen gefiel mir Fräulein Lindbloms Klasse 2E – ein Kinderbuch, dessen Titel die gereimte Assoziation mit Fräulein Smillas Gespür für Schnee völlig unverdient weckt. Lange Jahre, nachdem ich der Pfarrbücherei entwachsen war, habe ich es mir dann endlich selbst gekauft und es nun, wiederum zehn Jahre später, noch einmal gelesen. Und es war wieder ein Vergnügen, aber diesmal mit einem anderen Hintergrund:

Ich wurde 1981 eingeschult, mitten im Ruhrgebiet, in Castrop-Rauxel-Ickern, Marktschule, und folglich war ich 1982 im zweiten Schuljahr, Klasse 2C bei Frau H.. Fräulein Lindblom ist 1978 erschienen – vier Jahre machen nicht viel aus, und somit sind dieses Buch und ich quasi Zeitgenossen. Jede Seite ließ mich Parallelen ziehen – war das bei uns damals auch so? Und war Frau H. nicht eine tolle Lehrerin? Und hatte ich in Ickern nicht die beiden besten Grundschuljahre, die sich ein Kind nur wünschen kann? Schwärmerei über Schwärmerei, bei der jedoch eines mehr und mehr offensichtlich wurde: Egal was auf dem Cover stehen mag, Fräulein Lindbloms Klasse 2E ist nicht »Die witzigste Schulgeschichte der Welt«. Und egal was im Klappentext steht, solch eine Lehrerin wünsche ich eigentlich niemandem.

Die Lehrerin, Fräulein Lindblom, ist ohne jeden Zweifel eine ganz liebe. Aber sie kann nicht mit Kindern umgehen.… Weiterlesen “Gunilla Banks: Fräulein Lindbloms Klasse 2E”

bookmark_borderBarbara Wendelken: Eine Frühstücksfee für Julia

Wenn man wie ich zehn Jahre lang Bücher nur verkauft, aber effektiv nie gelesen hat, sollte man ganz vorsichtig sein, wenn man dann doch mit dem Lesen wiederanfängt. Der Verdurstende, der aus der Wüste kommt, darf auch keine zehn Liter auf einmal trinken. So erschien es mir ganz sinnvoll, mir ein Buch für Leseanfänger vorzunehmen. Meine Kollegen guckten zwar ein bisschen seltsam, als ich ihnen demonstrierte, dass doch noch eine Leserin in mir steckt – wohlgemerkt, ich befand mich zum Zeitpunkt des Lesens als Praktikantin an der Verbuchungstheke einer Stadtbücherei, aber es war nicht viel los, und immer wenn Leser kamen – im Fachjargon: Benutzer – legte ich das Buch brav beiseite und kümmerte mich um Ausleihen und Rücknahmen. Sowas kann man nicht mit jedem Buch machen – aber wenn man über dreißig ist, und das Buch richtet sich an Sechsjährige, sollte das schon gehen.

Und es ging ganz gut. Denn trotz des ziemlich bescheuerten Titels Eine Frühstücksfee für Julia, der zu kitschig und zu niedlich klingt, ist es eine lesenswerte kleine Geschichte, in der überhaupt keine Feen vorkommen. Und – man glaube es oder nicht – ich entdeckte gravierende Parallelen zwischen der kleinen Heldin, Julia, und mir selbst.

Julia wohnt bei ihrer alleinerziehenden Mutter, die als Marktfrau arbeitet – nicht die freundliche Apfelfrau mit Bauernhofanschluss, sondern mit einem Ramschstand: Bei den heutigen Sechsjährigen ist schonungsloser Realismus angebracht, selbst wenn man im Titel noch eine Fee versprochen hat. Natürlich liebt Julia ihre Mutter heiß und innig, aber diese muss morgens viel zu früh los, wenn Julia noch schläft, und das vorbereitete Frühstück ist ungenießbar.… Weiterlesen “Barbara Wendelken: Eine Frühstücksfee für Julia”