Stephanie Garber: Caraval

Es gibt Bücher, da klingt der Klappentext, als wären sie direkt für mich geschrieben worden – und wenn ich sie dann lese, sind sie so überhaupt nicht meines. So ein Fall war Stephanie Garbers Caraval. Das hatte ich mir schon 2017 gekauft, als es brandneu am Markt war, und mich auch sofort an die Lektüre gemacht, obwohl ich in der Zeit praktisch nichts gelesen habe – und so schnell, wie ich die Lektüre begonnen hatte, habe ich sie auch schon wieder beendet. Ich fand das Buch einfach sprachlich schlecht, die Figuren waren mir unsympathisch, und so gern ich mich auch in die Geschichte verliebt hätte, hat sie mich regelrecht abgestoßen. Ich war enttäuscht, das Buch wanderte ins Regal zurück – aber weil 2024 das Jahr ist, in dem ich wieder lese und allem eine Chance gebe, habe ich mir auch Caraval noch einmal vorgenommen, und sei es, um es am Ende beherzt verreißen zu können. Aber jetzt, wo ich mit dem Buch durch bin, kann ich sagen, ganz so schlecht wie befürchtet fand ich es dann doch nicht.

Das Buch versprach mir ein Spiel um Leben und Tod, eine Schatzsuche auf einer Insel, die eine Mischung ist aus Kirmes und Zirkus, und das klang erstmal wie etwas, das mir wirklich gut gefallen sollte. Ich liebe ja alles, was mit Jahrmärkten, Freizeitparks, Spielshows und dergleichen zu tun hat, und so hoffte ich, hier auch auf meine Kosten zu kommen. Aber bevor wir da auch nur ankommen, gibt es ein großes Hindernis zu überwinden: Und damit meine ich nicht die Aussicht, dass Gouverneur Dragna seine beiden Töchter zu Tode prügelt, wenn sie versuchen, der heimatlichen Insel zu entkommen, sondern dass eben nicht nur Vater Dragna ein Unsympath sondergleichen ist, sondern alle anderen handelnden Figuren irgendwie auch, Protagonist:innen eingeschlossen.

Hauptfigur ist Scarlet Dragna, siebzehn Jahre alt, gehorsame Tochter ihres Vaters und verlobt mit einem Grafen, von dem sie nicht einmal den Namen kennt. Sie setzt alles daran, ihre unwesentlich jüngere Schwester Tella vor dem grausamen Vater zu beschützen und freut sich auf die arrangierte Hochzeit in der Hoffnung, damit in eine neue Zukunft fern der heimatlichen Insel zu entkommen, und ich muss sagen, ich habe selten eine Hauptfigur weniger gemocht als Scarlet. Immerzu opfert sie sich für ihre Schwester auf, bis zur völligen Verleugnung ihrer eigenen Interessen, und dankt die Schwester es ihr? Mitnichten. Tella begegnet uns als ein selbst- und vergnügungssüchtiges kleines Biest und bringt mit ihrem Verhalten Scarlet immer wieder in Gefahr – vor allem, weil der sadistische Vater immer diejenige Tochter bestraft, die unschuldig ist, damit die andere zusehen und leiden muss – und die Szenen, in denen sich der Vater an seinen Töchtern auslässt, lesen sich extrem unangenehm und sollen das sicher auch, hätten von mir aus aber wirklich gerne einen Gang runterschalten können.

Scarlet hat jahrelang Briefe an den Caraval-Meister Legend geschrieben, Anführer einer Theatertruppe, wie es auf der Welt keine zweite gibt, damit ihre Schwester – und auch Scarlet selbst – einmal dieses unvergleichliche Schauspiel erleben darf. Natürlich bleiben die Briefe unbeantwortet – bis auf den letzten, in dem Scarlet ankündigt, zu heiraten und keine weiteren Briefe mehr zu schreiben, auf den hin die Schwestern samt Scarlets Verlobten auf die Caraval-Insel eingeladen werden. Da sich der Termin aber mit Scarlets Hochzeit überschneidet und sie folglich nicht fahren möchte, wird sie von Tella mithilfe des schmucken Seemanns Julian regelrecht verschleppt. Ich verstehe ja, dass man sie zu ihrem Glück zwingen muss – aber in diesem Buch wird auf persönlichen Grenzen derart herumgetrampelt, wie ich es noch in keinem anderen Buch erlebt habe. Was Scarlet will, was sie nicht will, sie hat kein Mitspracherecht, und überhaupt, sie hat ja auch jenseits von »muss Schwester beschützen« keinerlei Persönlichkeit.

Der kernige Julian ist, wo es um Sympathiepunkte geht, auch nicht besser aufgestellt. Er begegnet Scarlet abstoßend respektlos, gibt vor, sich nicht einmal ihren Namen merken zu können, und mir ist egal, dass die Beiden natürlich füreinander bestimmt sind, ich kann weder ihn noch sie noch Tella noch sonstjemanden in diesem Buch ausstehen. Tella, immerhin, glänzt weite Teile des Buches über durch Abwesenheit, verschwindet sie doch unmittelbar nach der Ankunft auf der Caraval-Insel, und das ganze sogenannte Spiel dreht sich darum, sie wiederzufinden – aber das ist nur ein schwacher Trost, denn die Szenen, in denen sie dann auftritt, nervt sie mich um so mehr. Dabei finde ich selbst, dass Figuren nicht per se sympathisch sein müssen, wenn sie dafür interessant und plausibel sind – aber die Caraval-Charaktere sind allesamt so konstruiert, dass ich sie wirklich aktiv nicht ausstehen kann.

So findet sich Scarlet als Figur in einem Spiel wieder, an dem sie keinen Gefallen hat, tut aber auch nichts, um aus dieser Rolle auszubrechen. Schließlich gilt es, die Schwester zu retten, und so folgt sie atemlos der Schnitzeljagd über die Insel, immer am Rand des Nervenzusammenbruchs, im Schlepptau Julian, mit dem sie sich unentwegt anzickt. Zu allem Überfluss kommt auch noch der »Es gibt nur ein Bett«-Trope ins Spiel – von dem ich erst kürzlich erfahren habe, dass es ihn überhaupt gibt, dass das ein wiederkehrendes Motiv in aktuellen Büchern ist, und wirklich, es ist kein Trope für mich. Und auch Scarlet möchte nicht mit Julian das Bett teilen müssen, selbst wenn der sich als ihr Verlobter ausgeben muss, um überhaupt auf die Insel gelassen zu werden.

Alles an diesem Buch wirkt sehr konstruiert. Natürlich, ich hatte von einem Buch, das auf einer überkandidelten Kirmesinsel spielt, jetzt nicht den größten Realismus erwartet, es war mir klar, dass alles bigger than life sein würde – aber nicht das Setting ist unrealistisch, sondern das Verhalten der Figuren. Ausrechnet die Insel, aus der man so viel hätte machen können, gerät dabei ins Hintertreffen, wird eine nie wirklich greifbare Kulisse. Da hat man so viel gehört von den zauberhaften Caraval-Vorführungen – aber statt mich zu verzaubern mit einem Vexierbild aus Schein und Wirklichkeit, gibt es eine ziemlich kurze Sequenz, in der Scarlet von einem surrealistsich hohen Balkon aus ein kleines Theaterstück sieht, und das war’s dann auch schon. Der vermeintliche Zauber der Insel glänzt durch Abwesenheit, und alles, was wir bekommen, ist ein verzaubertes Kleid für Scarlet, das je nach Anlass oder Tageszeit sein Aussehen ändert und dabei so oft und lang beschrieben wird, dass um so mehr ins Auge sticht, wie sehr diese Magie anderswo fehlt.

Ich hatte auf eine magische Spielshow gehofft, auf eine mit abenteuerlichen Rätseln gespickte Schnitzeljagd – bekommen habe ich eine weinerliche Heroine, die sich von A nach B scheuchen lässt und dabei die meiste Zeit über das Gefühl der Passivität nicht abschütteln kann. Ja, Scarlet ist bereit, sich für ihre Schwester zu opfern, aber dass sie dabei die Opferrolle bis zum Ende nicht abschütteln kann, nimmt ihr die Stärke, die sie gebraucht hätte, das Buch zu tragen. So klammert sie sich an Strohhalme, lässt sich etwas vormachen und durchschaut bis zum Ende keinen der Schwindel, denen sie ausgesetzt ist, selbst: Sie reagiert, statt zu agieren, und hat weder Julian, noch ihrer Schwester, noch Caraval-Meister Legend, dessen Spielball sie bis zum Schluss ist, etwas entgegenzusetzen.

Oft bleibt das Buch hinter seinen Möglichkeiten zurück. Mal verliert es Figuren aus den Augen, wie die freundliche Valentina, die Scarlet an ihrem ersten Abend in Caraval hilft, später von ihrem Bruder Dante als vermisst gemeldet wird, und danach bis zum Ende nicht mehr erwähnt wird – mal scheint alles auf eine dramatische Enthüllung hinauszulaufen, die dann doch nie kommt: So hat Scarlet mit ihrem Verlobten zwar zahlreiche Briefe ausgetauscht, aber nie seinen Namen erfahren, man fragt sich, wer sich wirklich dahinter verbergen mag, ist es am Ende Julian selbst? Und dann tritt der eben noch geheimnisumwitterte Graf auf, man erfährt seinen Namen, und er ist einfach nur eine unsympathische Nebenfigur, keine Enthüllung, nichts, und er hätte ebenso gut von Anfang an unter Klarnamen auftreten können, es macht keinen Unterschied.

Erst unmittelbar vor dem Schluss, nach dem dramatischen Finale, lässt die Autorin die Katze aus dem Sack und stellt mit einem Knalleffekt alles, woran man bis dahin geglaubt hat, auf den Kopf. Aber es ist seltsam: Wo ich eigentlich wirklich gerne überrascht werde und diese Wendung nicht habe kommen sehen, kommt die Eröffnung hier zu spät. Auch wenn man einige der Figuren, insbesodere die sonst so unerträgliche Tella, danach in anderem Licht sieht, kommt die Wendung für mich zu spät. Da kann ich die Figuren schon längst nicht ausstehen, und diese Enthüllung ändert daran auch nichts mehr. Es ist da nur noch so wenig Buch übrig, als dass ich noch Zeit hätte, meine Meinung über Tella, Scarlet und Co. zu ändern. Das mag eine Auswirkung auf die restlichen Bände der Reihe haben – aber was die angeht, habe ich weiterhin nicht das größte Interesse.

Zugegeben, mit dieser Enthüllung gefällt mir das Buch deutlich besser als ohne, insofern hat Garber da die richtige Entscheidung getroffen – aber es wirkt erzwungen, Knalleffekt um des Knalleffekts willen, und wirkt nicht logisch im Zusammenhang des restlichen Buches. Dass diese Schwestern, die einander doch so eng und so innig verbunden sind, über Jahre nie Klartext miteinander geredet haben sollen, stattdessen Intrigen gesponnen und einander etwas vorgespielt, das wirkt alles wie eine dramaturgische Last-Minute-Idee, als hätte die Autorin am Ende das Gefühl gehabt, noch einen großen Knall zu brauchen und sich das dann aus den Fingern gezogen haben, statt organisch das ganze Buch lang auf den großen Moment hinzuarbeiten.

Der Cliffhänger, mit dem das Buch dann endet, will ich wiederum nicht übelnehmen. Es ist nun einmal der Auftakt einer Reihe, und da darf auch ein Buch ins andere übergehen. Wer an der Stelle angefixt ist, kann direkt mit dem zweiten Band, Legendary, weitermachen, der 2018 erschienen ist – inzwischen ist die Reihe mit drei Bänden abgeschlossen, eine Novelle, die im gleichen Setting spielt, erscheint dann diesen Herbst, und nach dem Ende von Caraval ist zumindest alles wieder offen, es sind genug unbeantwortete Fragen übrig, um damit noch zwei Bände tragen zu können. Aber mich hat dieser erste Band einfach nicht genug verzaubern können, und ich habe die Figuren viel zu wenig gemocht, um noch mehr Lesezeit mit ihnen verbringen zu wollen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert