bookmark_borderNeal Shusterman: Scythe

In den letzten Wochen habe ich gelesen, als wären meine Bücher Matrjoschkas, russische Puppen-in-der-Puppe: Ich habe eines angefangen, bis zu einer gewissen Stelle gelesen, das nächste angefangen, bis zu einer gewissen Stelle gelesen, und dann das nächste angefangen, bis mir buchstäblich die Lesezeichen ausgegangen sind vor angelesenen Büchern. Nur das letzte habe ich, im Verlauf einer guten Woche, dann tatsächlich am Stück gelesen, ohne mich mit anderen Büchern zu unterbrechen, und wenn ein Buch meinen derzeit so wankelmütigen Verstand derart mit Beschlag belegen kann, dann wird das wohl ein spannendes Buch gewesen sein. Und das ist das Mindeste, was ich über Neal Shustermans Scythe sagen kann: Es ist fesselnd geschrieben und lässt sich, trotz einer Länge von rund 450 Seiten, gut und schnell lesen.

Tatsächlich kann ich noch mehr positive Sachen über dieses Buch sagen, und auch wenn ich zwischendurch Momente hatte, während derer ich es beherzt gegen die Wand schmeißen wollte, hat es am Ende die Kurve bekommen, und das gut genug, dass ich jetzt auch den zweiten Band der Trilogie lesen möchte. Nicht unbedingt sofort – vorher will ich all die angebissenen Bücher zu Ende lesen, die sich neben meinem Bett stapeln und bei denen mir oft nur noch hundert Seiten fehlen. Aber dann, wenn ich mir wieder erlaube, neue Bücher zu kaufen, will ich nach vielen Reihen, die mich nicht überzeugen konnten, endlich mal wieder einen Mehrteiler weiterlesen.

Scythe – das auf Deutsch unter dem Titel Scythe – die Hüter des Todes – erschienen ist, ist ein Jugendroman, der tückischerweise so tut, als würde er sich um eine Utopie handeln, in Wirklichkeit aber zutiefst dystopisch daherkommt.… Weiterlesen “Neal Shusterman: Scythe”

bookmark_borderStephanie Garber: Caraval

Es gibt Bücher, da klingt der Klappentext, als wären sie direkt für mich geschrieben worden – und wenn ich sie dann lese, sind sie so überhaupt nicht meines. So ein Fall war Stephanie Garbers Caraval. Das hatte ich mir schon 2017 gekauft, als es brandneu am Markt war, und mich auch sofort an die Lektüre gemacht, obwohl ich in der Zeit praktisch nichts gelesen habe – und so schnell, wie ich die Lektüre begonnen hatte, habe ich sie auch schon wieder beendet. Ich fand das Buch einfach sprachlich schlecht, die Figuren waren mir unsympathisch, und so gern ich mich auch in die Geschichte verliebt hätte, hat sie mich regelrecht abgestoßen. Ich war enttäuscht, das Buch wanderte ins Regal zurück – aber weil 2024 das Jahr ist, in dem ich wieder lese und allem eine Chance gebe, habe ich mir auch Caraval noch einmal vorgenommen, und sei es, um es am Ende beherzt verreißen zu können. Aber jetzt, wo ich mit dem Buch durch bin, kann ich sagen, ganz so schlecht wie befürchtet fand ich es dann doch nicht.

Das Buch versprach mir ein Spiel um Leben und Tod, eine Schatzsuche auf einer Insel, die eine Mischung ist aus Kirmes und Zirkus, und das klang erstmal wie etwas, das mir wirklich gut gefallen sollte. Ich liebe ja alles, was mit Jahrmärkten, Freizeitparks, Spielshows und dergleichen zu tun hat, und so hoffte ich, hier auch auf meine Kosten zu kommen. Aber bevor wir da auch nur ankommen, gibt es ein großes Hindernis zu überwinden: Und damit meine ich nicht die Aussicht, dass Gouverneur Dragna seine beiden Töchter zu Tode prügelt, wenn sie versuchen, der heimatlichen Insel zu entkommen, sondern dass eben nicht nur Vater Dragna ein Unsympath sondergleichen ist, sondern alle anderen handelnden Figuren irgendwie auch, Protagonist:innen eingeschlossen.… Weiterlesen “Stephanie Garber: Caraval”

bookmark_borderMargo Kelly: Unlocked

Ich war schon über dreißig, als bei mir die erste Psychose diagnostiziert wurde. Ob sie zustande kam, weil ich drei Tage und Nächte nicht geschlafen hatte, oder ob ich drei Tage und Nächte nicht schlief, weil ich eine Psychose hatte, kann ich nicht sagen, aber es ging über Schlaflosigkeit und Erschöpfung weit hinaus. Ich hörte Stimmen. Ich roch Dinge, die nicht da waren. Ich war der festen Überzeugung, mein linker Arm wäre ein implantiertes Fremdorgan. Der Nervenarzt verschrieb mir ein Antipsychotikum. Auf dem Beipackzettel stand »zur Behandlung von Schizophrenie.« »Heißt das, ich bin schizophren?«, fragte ich. Mein Arzt meinte, so eine Diagnose könnte man schlecht nach nur einer Psychose stellen, aber es wäre möglich, auch wenn ich schon ein bisschen alt für einen ersten Ausbruch wäre. Aber das Medikament schlug an, die Psychose ging nach ein paar Tagen wieder, und alles war gut-

Mehrere Psychosen später lebe ich mit der Diagnose »Schizo-Affektive Psychose« – das ist, sinngemäß, Schizophrenie plus Depressionen. Meine letzte Psychose ist Jahre her. Ich nehme meine Antipsychotika regelmäßig, die Depressionen machen mir im Schnitt mehr Probleme, aber unterm Strich lebe ich doch ein vollwertiges, erfülltes Leben. Das war jetzt ein langer Exkurs, wo ich eigentlich ein Buch rezensieren will, aber mir war diese Vorbemerkung wichtig, damit klar ist, warum dieses Buch, Unlocked von Margo Kelly, mich derart zornig machen konnte. So zornig, dass ich jetzt gegen einen meiner Rezensentengrundsätze verstoßen und Sachen aus der Auflösung des Buches spoilern werde, denn es muss sein, um meine Kritik verständlich zu machen.… Weiterlesen “Margo Kelly: Unlocked”

bookmark_borderGeraldine Harris: The Dead Kingdom

Der dritte Band der Seven Citadels ist mit nur 182 Seiten der kürzeste Teil der Tetralogie – für die Lektüre habe ich aber bis jetzt am längsten gebraucht. Zu episodenhaft fühlt sich das Buch an, das vor allem gegen Ende massiv an Fahrt verliert, und die Etappen der Reise, die Kerish-lo-Taan und seine Gefährten zurücklegen müssen, wirken seltsam disjunkt. Alles in allem hatte ich das Gefühl, Harris hätte Probleme gehabt, ihre vom Verlag vorgegebene Mindestlänge zu schaffen, und Seiten schinden müssen, um das Buch noch irgendwie vollzukriegen, und nach dem sehr starken zweiten Band hat der dritte Teil dann leider ein wenig nachgelassen.

Das Königreich der Schatten, die deutsche Ausgabe von The Dead Kingdom, war einer der allerersten Fantasyromane, die ich besessen habe, seit ich das Buch gegen Ende der Achtzigerjahre in der Wühlkiste bei Woolworth erstanden habe – damals neben der Stadtbücherei die einzige Quelle für die bei Goldmann und Heyne verlegten Reihen, denn die beiden Buchhandlungen meiner heimatlichen Kleinstadt führten keine Fantasy. Ich kaufte das Buch, ohne mich damit aufzuhalten, dass es bereits der dritte Band eines Mehrteilers war – es kostete nur irgendwas um die zwei D-Mark, und ich hatte die Hoffnung, den Rest der Reihe schon irgendwie zusammenzubekommen. Das sollte zwar noch Jahre dauern – in der Zwischenzeit hatte ich mir in der Stadtbücherei den Sammelband ausgeliehen und gelesen – aber am Ende hat es ja tatsächlich geklappt.

Jetzt habe ich also, im Verlauf von fünf Tagen, dieses Buch zum dritten Mal gelesen. Und es fällt mir schwer, nachzuvollziehen, wie ein so kurzes Buch, in dem so viel passiert, dabei solche Längen haben kann.… Weiterlesen “Geraldine Harris: The Dead Kingdom”

bookmark_borderGeraldine Harris: Prince of the Godborn

Eigentlich hatte ich mich nach der Lektüre von The Gilded Crown schon an ein anderes Buch gemacht, eines, das ich noch nicht kannte, aber dann habe ich es mir anders überlegt. The Gilded Crown hatte mir wehgetan, wie mir lang kein Buch mehr wehgetan hatte, und ich wollte nicht riskieren, dass es noch einmal passierte. Wundgelesen, wie ich war, wollte ich kein Risiko eingehen, und so griff ich zu einem Buch, das ich schon mehr als einmal gelesen hatte und das doch schon seit langem ganz weit oben auf meiner Leseliste stand: Prince of the Godborn von Geraldine Harris, erster Band der Reihe Seven Citadels, ein Klassiker der High Fantasy und ein kuschlig-vertrautes Stück Literatur, mit dem ich nichts falschmachen konnte. Dachte ich zumindest.

Wo andere den Herrn der Ringe als ihren Lieblings-Fantasymehrteiler nennen, als die Reihe, mit der sie aufgewachsen sind, waren das für mich Die Sieben Zitadellen. Ich hatte mir den Sammelband aus der Stadtbücherei ausgeliehen, als ich ungefähr siebzehn Jahre alt war, und die Geschichte hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. So etwas wollte ich auch schreiben können! So eine schöne, fesselnde Geschichte, so gewaltig der Weltenbau, so spannend die Figuren, so klassisch die Sammelqueste! Ich wollte mir die Bücher selbst anschaffen, aber da waren sie schon vergriffen, und es sollte ein paar Jahre dauern, bis ich die Reihe, alle vier Bände, antiquarisch beisammen hatte – aber damit hörte ich nicht auf, kaufte, über Antiquariate und später das Internet, weitere alle Bände der Sieben Zitadellen auf, die ich bekommen konnte, und wenn ich einen Satz zusammen hatte, verschenkte ich ihn: Das waren meine absoluten Lieblings-Lieblings-Lieblingsbücher, und ich wollte sie mit jedem lieben Menschen teilen können.… Weiterlesen “Geraldine Harris: Prince of the Godborn”

bookmark_borderMarianne Gordon: The Gilded Crown

Es ist lang her, dass ich meine letzte Rezension veröffentlicht habe – mehr als zwölf Jahre. Ebenfalls lang, wenn auch nicht ganz so lang, ist es her, dass ich das letzte Buch gelesen habe. Das hängt zusammen: Ohne die Aussicht, eine Rezension schreiben zu dürfen, fehlte mir meistens die Motivation, bei einem Buch, das mich nicht zu hundert Prozent in seinen Bann schlägt, bis zum Ende durchzuhalten. Aber ich dachte, als veröffentlichte Autorin – und das bin ich in der Zwischenzeit geworden – dürfte ich nicht mehr rezensieren. Mumpitz. Natürlich darf ich. Nicht hinterrücks und anonym die eigenen Kollegen schlechtmachen. Aber transparent und begründet loben und kritisieren. Und so bin ich wieder zurück mit Bibliophilis, nach nur zwölf Jahren Pause.

Was ich in den letzten Jahren unverändert getan habe, ist, Bücher zu kaufen. Schöne, interessante Bücher reizen mich wie eh und je, auch wenn ich kaum eines davon angefasst habe, nachdem es einmal im Regal stand. Seit dem letzten Februar bin ich Abonnent der Locked Library, einer britischen Überraschungs-Bücherbox, die mir jeden Monat ein schmuckes Buch liefert, komplett mit Farbschnitt, verziertem Einband und eingedrucktem Brief der Autor:innen. Ein Jahr lang habe ich diese Bücher bewundert, angegrabbelt, und in einem Stapel neben meinem Bett gesammelt – vieles davon hat mich auch von Klappentext her sehr angesprochen, aber gelesen habe ich keines von ihnen. Bis jetzt. Neues Jahr, neues Leben, neue gute Vorsätze.

Und auch wenn ich so neugierig auf das Buch war, das ich mir zum Wiedereinstieg ins Leserleben ausgesucht hatte, dass ich am liebsten noch im alten Jahr mit der Lektüre angefangen hätte, habe ich gewartet bis zum ersten Januar, ehe ich mich darüber hergemacht habe.… Weiterlesen “Marianne Gordon: The Gilded Crown”