Elizabeth Knox: Dreamhunter

Eigentlich sah es aus wie ein Buch, das alles hat, um mich zu begeistern – eine poetische Sprache, Reisen in eine andere Dimension, Träume, die zur Handelsware werden – und als ich bei meiner Kanadareise 2008 Dreamhunter auf dem Grabbeltisch entdeckte, reichte schon die Wartezeit im Flughafen zwischen Check-in und Boarding, um mich die ersten fünfzig Seiten verschlingen zu lassen… Und das war es dann auch. Während des Fluges las ich nicht, und daheim angekommen, wanderte das Buch ins Regal, nicht vergessen, aber mit dem Stempel ‘Irgendwann endlich mal lesen’. Es sollte drei Jahre dauern und einen auf Mannshöhe angewachsenen Lesestapel, bis ich mich endlich noch einmal an dieses Buch gemacht habe, und wie in den Anfangstagen dieses Blogs, als mein Freund sein Praktikum in München machte und ich die langen Bahnfahrten zum Lesen nutzte, war es auch diesmal wieder ein ICE nach München, in dem ich meine alte Leseschuld abgetragen habe.

Der Name der Autorin sagte mir nichts, als ich das Buch kaufte, aber in meinem gutsortierten Bücherregal fand sich dann doch noch ein anderes Buch von Elizabeth Knox: Der Engel mit den Dunklen Flügeln, noch ein wunderschön poetisches Buch, das ich nie gelesen habe, diesmal eines, das ich während meiner Buchhandlesausbildung als Leseexemplar abgegrabbelt hatte. Es ist auch auf meinen Lesestapel gewandert. Erst einmal habe ich mich aber jetzt an Dreamhunter gemacht, den ersten Teil des Dreamhunter Duets – also einer der eher seltenen Fälle, wo eine Buchserie nicht als Trilogie erscheint, sondern in zwei Bänden abgeschlossen ist. Ich hatte kürzlich schon so einen Fall gelesen, auch Incarceron ist so ein Zweiteiler, und weil der sich dann mehr anfühlte wie ein halbiertes Buch, habe ich schon befürchtet, dass es mit Dreamhunter die gleiche Bewandtnis hatte – und ja, auch hier ist es so. Wieder habe ich es Buch gelesen, das aufhört, aber nicht endet, und per Luftpost ist der zweite Band jetzt auf dem Weg zu mir, denn ich will wissen, wie es weitergeht. Das Buch hat mir nämlich gefallen. Auch nach drei Jahren.

Das Buch spielt Anfang des 20. Jahrhunderts in einem kleinen fiktiven Land, das irgendwo auf der Südhalbkugel im Gebiet von Australien oder Neuseeland zu liegen scheint – die Eukalyptuspflanzen waren erst ungewohnt für mich, die ich an Nordamerika und Mitteleuropa gewohnt bin, aber die Autorin ist Neuseeländerin, also warum soll sie es nicht in ihrer Heimatgegend ansiedeln? Letztlich ist die geographische Lage egal. Wichtig ist, dass dieses Land erst seit rund zweihundert Jahren bevölkert ist, auch Ureinwohner sucht man vergebens, und über die Vorgeschichte ist nichts bekannt. Was dieses Land von allen anderen unterscheidet, ist die Existenz des Ortes – ‘The Place’ – einer fremden Dimension, die nur bestimmte Leute betreten können. Diese Personen haben aber keine Wahl – sobald sie die Grenze überschreiten, sind sie auf der anderen Seite, ob sie wollen oder nicht. Der Ort ist unbewohnt, öde, wetter- und wasserlos, aber was ihn wirklich interessant macht, sind die Träume.

Diese Träume können im ‘Place’ an bestimmten Stellen geerntet werden, wenn derjenige, der dort schläft, die richtige Gabe mitbringt – nur den Ort betreten zu können, reicht nicht aus – und werden später von den Traumjägern mit anderen, die in ihrer Umgebung schlafen, geteilt. So hat sich in diesem Land eine eigene Unterhaltungsindustrie gebildet, und in Theatern wie der Regenbogen-Oper führen die berühmten Traumjäger ihre Werke vor, während zahlungskräftige Kunden auch personalisierte Träume mit den Häuptern ihrer Lieben erwerben können. Der Grundgedanke käuflicher Träume ist nicht neu, wird aber meistens in Science-Fiction-Szenarien verarbeitet wie dem Film Strange Days von Kathryn Bigelow, aber hier, in einem Fin de siècle-Setting ist es besonders schön, vor allem in Konkurrenz zu dem noch in den Kinderschuhen steckenden Kino, das noch nicht einmal Ton zu bieten hat – wer würde sich da nicht für das 3D-Fünf Sinne-Angebot Traum entscheiden?

Aber die Regierung reglementiert nicht nur, wer sich als Traumjäger niederlassen darf, sie hat auch eine Menge Dreck am Stecken und nutzt die Träume auf entsetzliche Art und Weise – und was ein netter Grundgedanke für das Buch war, ein Hintergrund, aus dem man etwas machen muss, entfaltet sich zu einer großen Geschichte. Aus der Sicht von Laura und ihrer Cousine Rose, Töchter von Traumjägern, baut Knox ein spannendes Gebilde aus Traum und Wirklichkeit, das mich immer wieder überrascht hat. Alte Lieder und die Magie von Namen, ein Sandmann, der nicht nur zum Gutenacht-Sagen vorbeikommt, Intrigen und nach und nach aufgedeckte Verschwörungen – dieses Buch hat alles und macht sich dabei erfreulich wenig Gedanken über Genres. Phantastik trifft es wohl mehr als Fantasy, aber das ist eine Unterscheidung, über die ich mir nie große Gedanken gemacht habe, und unterm Strich ist es für mich vor allem ein Adoleszenzroman.

Die Mädchen, unzertrennlich seit ihrer Geburt, sind bald gezwungen, getrennte Wege zu gehen, so dass man es als Leser nicht mehr mit einer Einheit zu tun hat, die nur deswegen zu zweit ist, um sich gegenseitig die Bälle zuzuspielen wie Holmes und Watson, sondern mit zwei starken, eigenständigen Charakteren. Die schüchterne Laura muss lernen, sich zu emanzipieren, die selbstbewusste Laura neue Perspektiven für ihre vermeintlich klar vorgegebene Laufbahn finden, und schlussendlich sind beide stark, ohne dabei als Abziehbilder zu enden. Auch die dazugehörigen Erwachsenen – Lauras Vater, Roses Eltern – sind liebevoll charakterisiert und bleiben nicht nur Schatten im Hintergrund, sondern dürfen sich Größe und Schwäche erlauben, niemals übermächtig oder blass. Neben den großartigen Charakterzeichnungen rückt der Hintergrund dahin, wo er hingehört: In den Hintergrund, eben. Und so wird dieses Buch von seinen Figuren getrieben, nicht von der Welt, in der es spielt.

Kleine Abstriche muss man machen: Manchmal ist die Perspektive etwas schwammig und unklar, aus wessen Sicht man gerade die Dinge erlebt. Ich empfinde es als irritierend, wenn die Handlung für wenige Seite in eine völlig neue Perspektive springt, nur um eine Sache erzählen zu können, von dem die eigentlichen Protagonisten gerade nichts mitbekommen – da ist es mir lieber, diese Sachen gar nicht zu erfahren und dafür enger mit den Hauptfiguren verbunden zu sein, auch wenn es bedeutet, ihre Unwissenheit zu teilen. Vor allem, wenn eine Perspektive nur dazu dient, eine Rückblende unterzubringen – natürlich, ich sehe ein, die Autorin will die Vorgeschichte irgendwo unterbringen, aber die Stellen, wo sie das als Kapitel eines Lehrbuchs über Traumjäger gestaltet hat, wirken einfach viel überzeugender. Doch insgesamt ist das Jammern auf hohem Niveau. Dreamhunter ist ein schönes, ein schöngeschriebenes Buch, bei dem es schade ist, dass es nie auf Deutsch erschienen ist.

Auch wenn das Buch manchmal etwas verwirrend ist, die Art, wie sich in Träumen und Alpträumen langsam Vergangenheit und Zukunft des Landes entfalten, ist so fesselnd, dass man sich darauf einfach einlassen muss. Wie jetzt auch noch der Heilige Lazarus da hineinspielt… Ich hoffe, dass mir der zweite Band Antworten liefern wird. Denn das muss ich dem Buch wirklich vorwerfen: Sein zu offenes Ende, sein fehlender Abschluss zwingen den Leser in den zweiten Band. Aber noch ein Buch von dieser Art lesen zu müssen ist sicherlich keine Strafe. Und dass drei Jahre, nachdem ich das Buch als Schnäppchen bekommen habe, der dazugehörige zweite Band in der gleichen Aufmachung schwer zu bekommen ist, soll nicht Schuld der Autorin sein. Wenn jetzt das zweite Buch, Dreamquake hält, was das Erste verspricht, bin ich auch für den Cliffhänger nicht mehr böse. Und so empfehle ich jetzt einfach schon mal pauschal allen Lesern, gleich beide Bände anzuschaffen – und nicht drei Jahre bis zum Lesen zu warten.

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