Weil ich sowohl schöne Bücher als auch Überraschungen mag, habe ich zwei englischsprachige Buchboxen im Abo: Seit Anfang 2023 die Locked Library und seit Herbst 2023 die Illumicrate, und weil ich mit dem Lesen nicht immer hinterherkomme, stapeln sich hier die ungelesenen Bücher, während jeden Monat zwei neue reinkommen. Eine Zeitlang waren es sogar drei: Da hat nämlich die Locked Library ihr Romantasy-Spinoff, The Forbidden Wing, gestartet, und ich, vom Zauber der Reihe geblendet, habe mich postwendend dafür registriert, obwohl ich eigentlich gar kein solcher Romantik-Fan bin. Aber nach neun Monaten habe ich das Abo wieder gekündigt. Die Bücher waren nicht nach meinem Geschmack, und das sowohl optisch als auch thematisch.
So wenig haben sie mich angesprochen, dass ich bis jetzt erst eines von ihnen gelesen habe, nämlich Dance with the Fae von Elisabeth J. Hobbes, und obwohl es da um zwei Lieblingsthemen geht – Feen und die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg – hat mich die Geschichte nicht abholen können. Das Buch ließ sich leicht runterlesen, auch weil es sprachlich nicht sonderlich anspruchsvoll war, hatte interessante psychologische Dilemmata in der Hinterhand und Figuren, die durchaus facettenreich gestaltet waren – aber zu viel hat mich nicht überzeugen können, und mit dem völlig missratenen Schluss ist das Buch dann endgültig für mich über den Hai gegangen.
Dabei war die Hauptfigur, Christopher »Kit« Arton-Price, ein Charakter nach meinem Geschmack. Ein traumatisierter Weltkriegssoldat, körperlich und seelisch entstellt, hin und hergerissen zwischen der Kindheitsfreundin, mit der er sich verlobt hatte, und seiner ebenso verbotenen wie verlorenen Liebe zum Soldaten Andrew, der den großen Krieg nicht überlebt hat – solche Figuren sehe ich in Büchern gern, über solche Figuren schreibe ich selbst gerne, und da waren eigentlich die Weichen für mich gestellt, das Buch zu mögen. Aber die Immersion ins historische Setting hat von Anfang an nicht funktioniert: Da treten die Eltern von Perspektivträger Kit auf und werden uns nicht als »sein Vater und seine Mutter« vorgestellt, sondern als »Charles und Ellen« – welcher junge Mann des Jahres 1919 würde von seinen Eltern und Schwiegereltern unter Vornamen denken?
So sind es erstmal viele stilistische Kleinigkeiten, die schlecht durchdacht wirken, später kommen aber noch diverse Großigkeiten dazu. Nach einem Tanz mit dem charmanten Mr. Wilde fällt Kits Verlobte Abigail nicht, wie der Klappentext uns vorgaukelt, sofort in der nächsten Nacht in immerwährenden Schlaf, sondern erst ein paar mit Geschwätz verbrachte Tage später, und das ist das erste Symptom dafür, dass hier das Tempo nicht stimmt. Zu viel Zeit wird für Nichtig- und Nickeligkeiten vergeudet, wichtige Ereignisse werden dagegen im Schnellverfahren abgefrühstückt, sodass Spannung kaum aufkommen mag.
Dadurch, dass neben Kit auch Fee Valentin(e) stellenweise die Perspektive bekommt, verliert das Buch alle Chancen, die Lesenden zu überraschen. Dass Valentin/Valentine hermaphromorph ist, mal männlich und mal weiblich und zwischendurch auch mal ein Vogel, wird als dramatische Enthüllung präsentiert, bloß ist das zu dem Zeitpunkt, als die erste Transformation passiert, schon längst erwähnt worden und damit ein alter Hut. Ebenso wird der Name des schurkischen Feen-Usurpators schon früh in der Handlung erwähnt, nur damit Kit viele Kapitel reagieren kann, als hätte er den Namen noch nie gehört.
Irgendwann fällt jedenfalls Abigail endlich in endlosen Schlaf, und Kit erfährt durch seine wunderliche Großtante Merelda, dass Feen am Werk sein müssen – wobei Merelda selbst unter einem Feenfluch steht und das Lichte Volk nicht erwähnen darf, aber man kann ihr alles durch Ja/Nein-Fragen aus der Nase ziehen. Als Miss Dove, Mr. Wildes Begleiterin, abrupt in Kits Schlafzimmer auftaucht (unmittelbar nach dem er ein Täubchen hereingebeten hat), sperrt er sie erstmal in den aus dramaturgischen Gründen mit Eisen ausgekleideten Wäscheschrank, leistet ihr dann, von Merelda über die Gefahren des Eisens für Feen aufgeklärt, gentlemanlike Erste Hilfe, und um Abigail zu retten, lässt er sich breitschlagen, ins Feenreich mitzukommen, wo laut Miss Doves Aussage gerade Menschen gebraucht werden, um das vom rüber gesickerten Weltkrieg vernarbte Land wieder aufzubauen.
Was folgt, ist ein Roadmovie, während sich Kit und Miss Dove alias Valentine durch ein erstaunlich banales Feenreich arbeiten. Ich sehe die Problematik: Ich schreibe selbst ja sehr gern Bücher über Feen, aber ich vermeide nach allen Kräften, dabei Szenen im Feenreich selbst spielen zu lassen, weil ich das Gefühl habe, dieser wundersamen, bezaubernd schönen und fremdartigen Welt nicht gerecht werden zu können. In Die Schatten von Owls End konnte ich eine Reise ins Feenland nicht vermeiden, und das ist der Teil des Buches, der mir am wenigsten gefällt. Catherynne M. Valentes Fairyland-Reihe macht alles richtig, ist aber wirklich eine Ausnahmeerscheinung. In Dance with the Fae begegnen uns Gestalten mit Hufen und Hörnern als Zeichen, dass wir im Feenreich sind, ansonsten ist es aber ein beliebiges, pseudo-mittelalterliches Setting, das allen irdischen Gesetzen zu folgen scheint.
Auch die Warnung, weder Speis noch Trank anzunehmen, bleibt ohne Konsequenzen: Allüberall bekommt Kit Essen, das an keine Verpflichtungen gebunden ist, und wird darum nicht verdammt, sieben Jahre Fron zu leisten oder sich sonst wie an die Feenwelt zu binden. So gibt es einen viel zu langen Roadtrip durch ein zu uninteressantes Szenario, und der einzige Erkenntnisgewinn, dass nämlich Valentin(e) nicht frei ist, sondern selbst versklavt, ist nur für Kit einer, denn die Lesenden wissen auch das schon längst. So gehen wertvolle Seiten verloren, die dafür am Ende fehlen – schließlich hat, wie ich das schon bei The Macabre angemerkt habe, auch Autorin Hobbes eine Seitenzahlvorgabe, die sie nicht zu weit überschreiten darf, und die Geschwätzigkeit der ersten dreihundertachtzig Seiten rächt sich dann auf den letzten zwanzig.
Dazu kommt, dass zu viele Sachen unlogisch bleiben. So sind sowohl Abigail als auch Kit freiwillig mit den Feen gegangen – aber Abigail geht nur im Geiste, während ihr schlafender Körper zurückbleibt, während Kit mit Haut und Haaren ins Feenreich geht. Parallel dazu entführt der schurkische Caul Gilling Menschen aus aller Welt, ohne dafür auch nur einen Fuß über die Grenze setzen zu müssen, lässt schlafende Hüllen zurück, und lässt die Entführten für sich schuften und kämpfen – warum das mal so geht und mal so, wird nicht weiter erklärt, auch wenn Hobbes mit der Encephalitis Lethargica ein bis heute nicht restlos geklärtes historisches Krankheitsphänomen aufgetan hat, das gut in ihre Geschichte passte, hätte zumindest Abigail wie Kit auch körperlich ins Feenreich gehen müssen. Wenn der Plot der Logik widerspricht, muss man eben am Plot drehen und nicht versuchen, sich die fehlende Logik irgendwie zurechtzubiegen.
Nichts zu meckern habe ich hingegen über Kits Sexualität. Die ist glaubwürdig beschrieben, auch wenn etwas zu oft beschrieben wird, dass ihm das Geschlecht einer Person egal ist und er den Menschen (oder die Fee) dahinter liebt. Ja, ich verstehe, er ist nicht bi- sondern pansexuell, aber von seinen Reaktionen auf die Haupt- und Nebenfiguren der Handlung fühlt er sich sexuell stärker zu Männern hingezogen. Ich kann das nachvollziehen, ich bin selbst bisexuell und weiß, dass das nicht zwangsweise bedeutet, dass man seine Leidenschaften 50/50 verteilt. Und wenn auch sicher nicht alle Bisexuellen polyamourös sind (oder alle Polyamourösen bisexuell), ist es für mich kein Widerspruch, dass sich Kit in Andrew verliebt hat, während er gleichzeitig innige Gefühle für Abigail hegte. Alles rund, alles plausibel, und die Offenbarung, warum Kit in Sachen Andrew von solchen Schuldgefühlen geplagt ist, ist die einzige echte Enthüllung im Buch.
Natürlich funkt es zwischen Kit und Valentin(e) – auch wenn mich die Lösung, dem Pansexuellen die hermaphromorphe Fee an die Seite zu stellen, ein bisschen zu sehr an Piers Anthony’s Spell for Chameleon erinnert, wo der Held eine Frau bekommt, die zwischen bildschön (und tumb) und klug (und hässlich) wechselt, um alle seine Bedürfnisse zu befriedigen, weil Frauen ja nicht gleichzeitig schön und klug sein können (ja, das ist ein ziemlich beknacktes Buch, und ich kann im Nachhinein nicht mehr nachvollziehen, was ich in meiner Jugend an den Xanth-Büchern gefunden habe). Hier jedenfalls wirkt es mehr wie ein Gimmick, und Valentin(e)s Genderfluidität wirkt drangeklatscht und nicht organisch.
Zum Schluss möchte ich gar nicht zu viel verraten, weil ich Spoiler vermeiden will – aber Hobbes müssen wirklich auf den letzten drei Metern entweder die erlaubten Wortzahlen oder die Zeit ausgegangen zu sein, jedenfalls fasst sie auf den letzten fünfzehn, zwanzig Seiten einen Handlungsbogen zusammen, während dessen mehr passiert als auf den mittleren zweihundert. Das funktioniert nicht. Da werden wichtigste Entwicklungen in zwei Zeilen zusammengefasst, als würde in einer Nachrichtensendung darüber berichtet, da wird auf den letzten zwei Seiten nochmal eine neue Perspektive eingeführt, um uns aus dritter Hand zu berichten, wie die Geschichte ausgeht, und das Ganze wirkt nicht mal atemlos oder gehetzt, sondern leblos, trocken und distanziert. Dass Hobbes – die sowohl historische Romance als auch Fantasy schreibt und hier doppelt in ihrem Element hätte sein müssen – eine erfahrene Autorin ist, merkt man diesem Ende jedenfalls nicht an.
Und so bleibt am Ende der rund vierhundert Seiten ein mauer Beigeschmack. Da stecken teilweise gute Ideen im Buch – wie die rätselhafte Schlafkrankheit oder die Vorstellung, dass das vergossene Blut des Ersten Weltkriegs selbst das Feenreich verdorben hat – aber es wird nicht überzeugend umgesetzt, bei den Feen besteht die Lösung dann doch nur darin, den Schurken – der sich schon lang vor Kriegsbeginn seines Thrones ermächtigt hatte – zu töten, und zu vieles wird an- aber nicht zu Ende gedacht. Wenn das Buch dann wenigstens schön wäre! Aber nein, das Cover in Weiß, Gold und Aubergine ist ziemlich hässlich, in Echt sogar noch mehr als im Scan, innen gewinnt das Buch auch keinen Schönheitspreis, und leider gilt das für einen Großteil der Bücher, die ich aus dem Forbidden Wing bekommen habe.
Ich habe noch ein Feenbuch aus der Locked Library hier liegen, das kommt auch bald dran. Denn auch wenn mir Dance with the Fae echt nicht so gut gefallen hat: Meiner Liebe zu Feen und ihren Geschichten tut das keinen Abbruch. Ich hoffe nur, dass das nächste Buch mir besser gefällt. Denn für noch mehr mittelmäßige Bücher ist mir meine Zeit gerade echt zu schade.




