Margery Allingham: Süße Gefahr

Ein Seriendetektiv, der eine Buchreihe über mehrere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, tragen will, braucht entweder einen sehr starken oder einen sehr schwachen Charakter. Gerade das Finden eines Lebenspartners gestaltet sich dadurch ziemlich schwierig. Poirot war Zeit seines Lebens nur mit seinen Kürbissen verheiratet, für Lord Peter musste es gleich eine Mordverdächtige sein, und Columbos Ehefrau besticht durch permanente Abwesenheit. Auch Albert Campion ist jetzt um die Dreißig, da ist es an der Zeit, sich um so etwas Gedanken zu machen.

In Gefährliches Landleben wurde er schwer enttäuscht, in Der Hüter des Kelchs skandiert er melancholisch: »In meinem Hamlet hat Ophelia Macbeth geheiratet« – und man ahnt bereits, dass es für ihn schwer wird. Albert braucht nicht irgendein süßes Mäuschen, sondern eine Frau, die ihm ebenbürtig ist, und das will heißen: Genauso genial und genauso bescheuert. Und jetzt, im vierten Fall, ist es an der Zeit, dass sie die Bildfläche betritt. Auch wenn bis zur Hochzeit noch ein paar Jahre ins Land gehen werden: Denn nicht nur ahnen beide – anfangs – wenig von ihrem Glück, die Auserwählte ist auch gerade erst ein Mädchen von siebzehn Jahren.

Christoph war von Süße Gefahr weniger begeistert – zum einen fehlt wieder mal der rechte Mord, zum anderen fand er die Geschichte um den Osteuropäischen Zwergstaat wohl zu abstrus. Ich dagegen hatte großen Spaß an diesem Buch, trotz seiner Abstrusität, denn die Autorin folgt mit ihrer Handlung dem Zeitgeschehen, und die ersten Vorzeichen des Zweiten Weltkriegs deuten sich hier schon an – obwohl das Buch schon 1933 erschienen und vermutlich bereits vor Hitlers Machtergreifung geschrieben wurde. In späteren Bänden soll dann London in Schutt und Asche liegen… Aber noch ist es nicht so weit. Noch jagt Albert nach den Reichsinsignien von Averna und legt sich dabei – richtig! – mit dem organisierten Verbrechen an. Und so macht Süße Gefahr, nach dem eher konventionellen Ausrutscher Polizei am Grab, wieder da weiter, wo die Serie anfing: Mit Albert, der den spinnerten Sonderling spielen und nicht nur seine Gegner, sondern auch seine eigenen Verbündeten dabei gehörig an der Nase herumführen darf.

So sehr man auch Alberts geniale Tricks bewundern darf, mit der er der Eilverschiffung nach Peru entgeht – es hat zur Folge, dass er erst einmal untertaucht und die Queste (ja, das Buch ist mehr ein Abenteuerroman denn ein Krimi, und die Suche nach der Trommel, der Glocke und dem Rautendiamant, von alten Prophezeiungen begleitet, hat viel von einer ordentlichen Fantasygeschichte) seinen drei treuen Freunden überlässt – und der bezaubernden Amanda. Und da sie alle nicht auf den Kopf gefallen sind, kapieren sie fast so schnell wie der Leser, dass sie füreinander bestimmt sind, und haben sich am Ende des Buches dann auch schon quasi verlobt.

Und bis dahin gibt es haarsträubend viel zu tun: Neben den üblichen Erzschurken – hier in Gestalt des windigen Mr. Savanake, dem man doch die Rolle eines Recurring Villain gerne gegönnt hätte, schon aus Angst, dass Albert irgendwann die Gangsterbosse ausgehen – gibt es auch noch kauzige Einheimische, schöne Müllerinnen, abergläubige Landärzte, Hochstapler, gutes Bier, verlorene Erben, riesige Radioantennen und nicht zuletzt einen Freund für Alberts unvergleichliches Faktotum Lugg. So dass man sagen muss, dass dieses Buch sicher zu den Amüsantesten der Serie gehört.

Gelungen ist auch die Übersetzung, diesmal durch einen Peter Fischer, auch wenn man sich wünschen mag, der Diogenes-Verlag hätte die Werkübersetzung Allinghams einer Einzelperson in die Hände gegeben. Denn dass zum Beispiel Luggs Dialekt in jedem Buch anders übertragen wird, wirkt doch irgendwann störend – wenn schon alle Bücher von außen das hübsche Corporate Design der klassischen Schwarz-Gelben Diogenes-Krimis haben, sollten sie sich auch von innen mehr ähneln.

Wer nicht auf einen traditionellen Whodunit besteht und damit leben kann, dass der über weite Strecken des Buches einzige Tote ein auf natürlichem Weg Verstorbener ist, der nur zufällig im Moor herumliegt und keine nennenswerte Rolle spielt, dem bietet sich mit Süße Gefahr ein bezaubernd unkonventionelles Abenteuerbuch, das man auch gerne mehrmals lesen kann. Denn allein der Schluss, wenn Albert Campion ein Lächeln in seinem sonst unbewegt ausdruckslosen Gesicht zulässt, ist so schön, dass einem glatt das Herz aufgeht. Und man mag den Moment kaum abwarten, in dem er seine Amanda, das Mädchen mit dem großen Mund, altmodischen Gewändern und einem Herz für Radiofrequenzen, endlich vor den Altar führt …

Freut euch nicht zu früh, Leser. Denn eine Hochzeit gibt es für Albert nicht, nicht hier, und auch in keinem der folgenden Bücher.

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