Douglas Clegg: Isis

Für schön gemachte illustrierte Bücher hatte ich schon immer etwas übrig, und als ich im auf einer Webseite eine Illustration aus Isis sah, war ich so sehr davon angetan, dass ich mir gleich das ganze Buch dazu bestellt habe, ohne auch nur irgendetwas über den Inhalt zu wissen. Was dann kam, war ein schlankes Büchlein, Hardcover mit Schutzumschlag, »A Tale of the Supernatural«, und mit knapp über hundert Seiten war es dann auch schnell gelesen – nur um mich danach etwas ratlos stehen zu lassen, denn am Ende war an dem Buch zu wenig dran, um es vernünftig rezensieren zu können. Auf die Länge allein kann ich das nicht schieben, es gibt Novellen, die einem das Hirn wegblasen und über die man mehr Wörter verlieren kann, als in dem Buch selbst drinstehen. Aber die Geschichte von Iris, die zu Isis wird, in die Unterwelt hinabsteigt, um ihren Bruder von den Toten zu erwecken, und die am Ende mit einem unglücklichen Zombie dasteht, ist erstaunlich karg. Selten habe ich von einem Buch so wenig für mich mitnehmen können wie von diesem, und was am Ende bleibt, ist ein Reigen hübscher Illustrationen, die über die dünne Story nicht hinwegtäuschen mögen.

Dabei scheint das Buch auf den ersten Blick alles richtig zu machen. Das Setting ist ein geheimnisvolles Haus in anheimelnder Klippenlage in Cornwall, mit stehenden Steinen, versteinerten Maiden und einer Höhle, die man besser nicht betritt, in Reichweite. Der Gärtner murmelt düstere Weissagungen, die Toten werden erwachen, und eine vielversprechende Gruselgeschichte nimmt ihren Anfang. Dachte ich. Stattdessen gibt es unnötigen Inzest, ein paar Zwillingsbrüder, von denen der eine so edel ist, dass man einen Brechreiz bekommen möchte, und der andere dafür ein ungepflegtes Ekelpaket. Und nein, der Inzest – nicht praktiziert, nur eine angedeutet inzestuöse Liebesbeziehung – findet nicht zwischen den Zwilligen statt, sondern zwischen der jüngeren Schwester Iris und dem edlen Harvey. Normalerweise mache ich ja in meinen Rezensionen zum Plot nur Andeutungen, hier ist das kaum möglich: So schnell ist die Handlung nacherzählt, dass selbst ein paar Hinweise dafür schon ausreichen. Dass Iris dann den Tod des geliebten Bruders verursacht, ist natürlich tragisch, sie will ihn wiederhaben und beschwört so das Unheil herauf.

Ich mag es ja gruselig. Subtil gruselig, heißt das. Den wohligsten Schauer treibt es mir über den Rücken, wenn ich nur erraten kann, was vor sich geht. Zombies schrecken mich ab, aber sie machen mir keine Angst, und ich will sie nicht in meinen Büchern haben. So bin ich schon als Dreizehnjährige hereingefallen, was Steven King angeht: Drei Bücher habe ich von ihm gelesen, jedes wurde mir von einer anderen Freundin geliehen, jeweils mit der Erklärung, es wäre sein bestes, und ausgerechnet das erste, das ich von ihm las, war Friedhof der Kuscheltiere. Es war ekelig, aber nicht gruselig, und ungeheuer vorhersehbar. Wer es gelesen hat, kann sich Isis sparen. Wer es nicht gelesen hat, kann mit Isis vorlieb nehmen, denn das hat man schneller durch, hundertelf Seiten in Großdruck, unterbrochen durch ein paar Illustrationen, sollten nicht mehr als eine Stunde verschlingen, während der King bestimmt fünfmal so lang ist. Unnötig sind in meinen Augen beide, denn die Moral »Was begraben ist, sollte das auch bleiben« kann man sich auch denken, ohne eines der Bücher gelesen zu werden.

So vergeudet Clegg also in Isis unnötig viel Zeit damit, die unterschiedlichen Brüder zu beschreiben, jeweils aus Sicht der Schwester, und wie es für Icherzählungen – und Novellen insbesondere – typisch ist, wird viel Handlung nicht erlebt, sondern zusammengefasst, was der Spannung noch weiter Abbruch tut. Dass Iris ihren Bruder Spencer nicht mag, und seine Liebelei mit der fies-feisten Edyth noch weniger, bekommen wir bei jeder Gelegenheit aufs Butterbrot geschmiert. Dass sie dafür den anderen Bruder um so lieber hat, um so öfter. Dass es derweil noch einen dritten Bruder gibt, ist so irrelevant, dass man ihn ganz hätte weglassen können. Dann gibt es noch den murmelnden Gärtner, den bigotten Großvater und eine Mutter, die man gleich wieder vergessen kann, fertig ist das Kammerspiel. Auf den wenigen Seiten hätten mehr Personen wohl auch kaum Platz. Nur die Handlung, die will nicht in Fahrt kommen: Alles, was man als Achtklässler an den Klassenlektüren-Novellen so gehasst hat, in meinem Fall war das Jeremias Gotthelfs Schwarze Spinne, findet sich wieder in diesem Büchlein.

Die Bilder, daran gibt es keinen Zweifel, sind schön, Federzeichnungen im klassischen Stil, an die Kupferstiche erinnernd, mit denen in alten Zeiten die Kolportageromane in den Zeitungen illustriert waren. Glenn Chadbourne hat anständige Arbeit geleistet, und wenn man das Buch in der Hand hält und es nur durchblättert, ohne es zu lesen, hat man ein hübsches Stück in den Fingern. Anstelle eines Klappentextes hat man auf dem Backcover nicht weniger als vier Testimonials begeisterter Literaten, allesamt Bestsellerautoren, die Douglas Clegg und insbesondere Isis preisen – sie sprechen so enthusiastisch von Grusel, von Schauder und Gänsehaut, dass ich mich frage, ob sie vielleicht eine frühere Version des Manuskripts gelesen haben, als es noch vierhundert Seiten voller Horror hatte, bevor es auf dieses ebenso handliche wie ungruselige Format gekürzt würde. Nicht, dass die Handlung wirklich zusammengestrichen wirken würde, und sie hätte auch nicht das Potenzial, ein dickeres Buch zu tragen – trotzdem, ich frage mich: Haben die das gleiche Buch gelesen wie ich?

Am Ende hätte es gereicht, wenn ich mir nur die Bilder angesehen hätte, sie sind gruseliger als der Text, und dafür hätte ich mir nicht das Buch kaufen müssen, es hätte gereicht, auf jener Webseite zu bleiben. Nun ist es einmal da, mit seiner gewollt altertümlichen Sprache und seinem Gehaben, authentisches neunzehntes Jahrhundert spürbar machen zu wollen, alles ist so betont beiläufig viktorianisch, und schon weil die erste Hälfte des Büchleins zehn Jahre umspannt, merkt man schon, dass nur wenige Szenen erlebt werden können und der Rest im Eilverfahren abgehandelt wird. Ebenso schnell ist die zweite Hälfte vorbei, und was ein gelehriges, philosophisches Werk sein will, endet als substanzloses literarisches Fastfood. Fast ist es schade drum, nur wüsste ich beim besten Willen auch nicht, wie man aus dieser abgenudelten Idee mehr hätte herausholen können. Dass in der ägyptischen Mythologie Isis in das Totenreich hinabsteigt, um den geliebten Bruder Osiris zurückzuholen, reicht völlig aus: Damit ist die Geschichte erzählt. Und jeder weitere Aufguss macht sie nur unnötig untot, ganz so wie den armen Harvey, dem das Totenreich jetzt verschlossen ist und der nichts mehr tun kann, als die dumme Schwester zu verdammen. Lasst die Toten liegen. Und dieses Buch am besten auch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert