James Dashner: The Maze Runner

Ich bin ein gefürchteter Plotknacker. Als ich mit zehn Jahren Timm Thaler gelesen habe, war meine erste Frage, warum er nicht wettet, dass er wieder lachen kann. Wenn ich grässliche Historienfilme sehe, kann ich sekundengenau vorhersagen, wann das Kohlebecken umfällt. Als Rollenspielerin habe ich meinen Spielleiter oft in Verzweiflung gebracht, indem ich selbst das kunstvollste Plotgerüst durchschaue. Vermutlich liegt es daran, dass ich selbst schreibe, und ich gehe auch anderleuts Geschichten nicht analytisch an, sondern synthetisch – ich zerlege sie nicht, ich baue sie auf, und die Frage ist immer ‘Wie würde es laufen, wenn ich das Buch geschrieben hätte’. Umso schwerer bin ich als Leser zufriedenzustellen: Ich werde gerne überrascht, und wenn ich jede entscheidende Wendung eines Buches vorhersehen kann, freut mich das nicht, sondern langweilt mich. So ist es mir jetzt auch mit The Maze Runner gegangen – einem sauspannenden Stück Jugendliteratur und leider doch unschön durchsichtig.

Ich hatte fast das Gefühl, ich könnte den Figuren Regieanweisungen geben – und dann doch wieder nicht, denn was ich ihnen auf Seite fünfzig zu tun befehlen wollte, machen sie erst zweihundert Seiten später: Das nervt irgendwie, und ich mag nicht denken, dass ich so ein unglaubliches Genie sein soll, es war wohl eher alles extrem naheliegend. Nur eine Wendung am Schluss, zugegeben, habe ich nicht erkannt. Aber immerhin habe ich das Buch auf Englisch gelesen und war somit besser dran als Leser der deutschen Ausgabe, die mit dem Titel Die Auserwählten – Im Labyrinth schon den halben Plot vorweggenommen bekommen und damit fast meine Taschenbuchausgabe von Inspector Jury sucht den Kennington-Smaragd schlägt, wo mir im Klappentext allen Ernstes der Mörder und das Versteck des Smaragdes verraten wurden. Den deutschen Titel mag ich dem Autor nicht vorwerfen, er ist daran unschuldig – wohl aber am unglaublichen Chauvinismus dieses Buches, der seinesgleichen sucht.

Normalerweise ist mir beim Lesen egal, ob ein Buch für Männer, Frauen, Jungen oder Mädchen geschrieben wurde, Hauptsache, es ist gut. Aber The Maze Runner ist so massiv auf ein männliches Publikum ausgerichtet, dass es schon weh tut. Das Schlumpfinchen-Prinzip wird hier in Reinkultur praktiziert: Auf fünfzig Jungen kommt ein einziges Mädchen, und das sieht nicht nur atemberaubend aus, sondern verbringt auch weite Teile des Buches dramaturgisch komfortabel im Koma. Klar, so muss sich der Autor keine Gedanken machen über die sexuelle Gewalt, die sich schon fast zwangsweise ergibt, wenn man fünfzig pubertierenden Jugendlichen ein heißes Mädchen vorwirft (’hot’ wird tatsächlich mehrmals im Zusammenhang mit Teresa verwendet), aber warum sonst überhaupt nur Jungen im Labyrinth ist, wird nirgendwo beantwortet, noch nicht mal hinterfragt. Wie sich herausstellt, wurden hochintelligente Kinder auserwählt, denen man die Rettung der Welt zutrauen kann – natürlich, damit sind Mädchen schon aus Prinzip ausgeschlossen.

Nur wie wurde dann ausgerechnet das Mädchen Teresa Betatester für das Projekt? Ehrlich, das wäre fast ein Grund für mich gewesen, das Buch in die Ecke zu pfeffern. Und dass es eben für ein männliches Publikum ist, lasse ich als Entschuldigung nicht gelten. Auch wenn man für Jungen schreibt, muss man nicht so tun, als ob das weibliche Geschlecht nicht existierte. Aber auch sonst werden alle Fragen zur Sexualität komplett ausgeklammert. Dass es im Verlauf der Jahre, die manche von den Buschen schon im Labyrinth verbracht haben, auch zum Austausch von Zärtlichkeiten unter den Jungen kommen wird – keinerlei Andeutungen in diese Richtung, die Zielgruppe will kernige Machos, keine Schwulitäten. Aber manchmal muss man als Autor auch mal provozieren, die Dinge ansprechen wie sie sind, und dass ein Haufen Sechzehnjähriger auch sexuelle Bedürfnisse hat, die entweder zu Gewaltexzessen oder zu Intimität führen muss, ist hier kein Thema. Freundschaft ist das zärtlichste, was den Gladers zugesprochen wird.

So mag ich hier nicht so recht Parallelen zu dem von mir sehr geliebten Incarceron ziehen – ja, auch hier werden Menschen gegen ihren Willen in einer mehr oder weniger virtuellen Welt festgehalten und sind von dem Wunsch beseelt, dort auszubrechen, aber wo in Incarceron psychologisch plausible, liebenswert ausgearbeitet und alles andere als schwarzweiß gezeichnete Charaktere die Handlung vorantreiben, sind sie bei The Maze Runner irgendwo zwischen Abziehbild und Schießbudenfigur einzuordnen, angefangen mit dem Helden Thomas, der so unerträglich perfekt ist, edelmütig, aufopferungsvoll, intelligent, sportlich, ein wahrer Anführer vor dem Herrn, dass man ihn keine Sekunde lang gernhaben mag. Finden Jungen sowas toll? Ich kann es mir irgendwie nicht vorstellen. Aber der Autor findet ihn toll, sowas steht fest.

Und doch habe ich mich Seite für Seite durch das Buch gefressen, habe es gehasst und war doch gefesselt. Auf der einen Seite sprachlich eher einfach gehalten, was Satzbau und -länge angeht, ausgelegt auf einfaches, actionorientiertes Lesen, versucht The Maze Runner sich doch an dem, was viele große Klassiker, Joyce, Burgess, Huxley vorgemacht haben, und verpasst den abgeschottet lebenden Jugendlichen ihren eigenen Subkultur-Slang, was es Dashner ermöglicht, sehr viele Flüche, Four-Letter-Words und Fäkalworte zu benutzen, denn da er die Wörter dafür selbst erfunden hat, umschifft er jede Zensur – ‘Klunk’ wird eben von keinem Wortfilter erkannt. Ob sich der Autor gewünscht hat, diese Begriffe mögen in die tatsächliche Jugendsprache eingehen? Sicherlich. Sowas wünscht sich jeder Autor, der sich die Mühe macht, eine eigene Sprache zu erfinden. Und obwohl es interessant ist zu sehen, wie Thomas mehr und mehr Teil der Gladers-Gesellschaft wird, indem sich seine Sprache den anderen Jungen anpasst, würde ich selbst doch eher Klingonisch lernen wollen, als auch nur einmal laut »Klunk!« zu rufen.

So erscheint das ganze Experiment doch vor allem irgendwie sehr bemüht, und bei aller Spannung weiß man als Leser doch, dass es andere schon viel, viel besser gemacht haben. William Sleators Klassiker Haus der Treppen ist ein zehnmal besseres Buch, und so abgedroschen Goldings Herr der Fliegen nach ein paar Jahrzehnten als Schullektüre auch sein mag, ich kann mir deutlich besser vorstellen, es endlich einmal zu lesen, als mir so schnell das zweite Mazerunner-Buch The Scorch Trials zu Gemüte zu führen, und das, obwohl es schon griffbereit bei mir im Regal steht (Lord of the Flies allerdings auch). Was mich am ersten Buch so gereizt hat, was das Labyrinth – für so etwas war ich immer schon zu begeistern, so enttäuschend die dazugehörigen Bücher am Ende aus ausfallen mochten – und das wird, natürlich von Thomas und natürlich heldenhaft, überwunden. Und durch einen dreckigen Perspektivenwechsel gegen Ende des Buches, dem einzigen überhaupt, wechselt der Leser kurz vorm Schluss in die Sicht der Schurken und erklärt uns, was wirklich passiert ist. Das ist auf der einen Seite gut, denn sonst hätte das Buch mit einem unerträglichen Deus-ex-Machina-Moment geendet, aber dafür ruiniert es allen Suspense, alle mühsam aufgebaute Spannung, und selbst, dass Teresa mittlerweile aus dem Koma erwacht ist, macht mir nicht mehr Lust auf die Folgebände, ein dritter ist ja mittlerweile auch erschienen.

Also, was mache ich jetzt? Ärgere ich mich, gleich beide Bücher auf einmal gekauft zu haben, statt erstmal probezulesen? Nein, ich will mal die Kirche im Dorf lassen, ich habe schon schlechtere Bücher gelesen und vor allem zähere. Ich kann mir vorstellen, den zweiten Band genauso schnell zu verschlingen wie das erste, und selbst wenn er mich genauso ärgert, muss ich doch zugeben, dass es immer Spaß macht, in einer Rezension vom Leder zu ziehen. So werde ich mich also sicher auch den Scorch Trials widmen, muss ja nicht gleich morgen sein. Was mich nur ärgert, ist der große Erfolg dieser Reihe, die vielen Auszeichnungen, der Bestseller-Status, den andere Bücher in meinen Augen eher verdient haben, und dass der Autor seine gebündelte Frauenfeindlichkeit nicht von seinen Agenten und Lektoren links und rechts um die Ohren gehauen bekommen hat. Weiterempfehlen mag ich das Buch nicht so recht, aber wer Incarceron mochte und Bestätigung sucht, dass das ein gutes Buch ist, der darf auch gerne den Irrgartenläufern ein wenig von seiner Zeit widmen. Auch wenn das Buch ein großer Haufen Klunk ist.

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