Als ich kürzlich The Maltese Falcon nach all den Jahren nochmal gelesen habe, hat das meine Lust am klassischen amerikanischen Kriminalroman wiedergeweckt, und ich hatte vor, als nächstes ein Wiedersehen mit Raymond Chandlers Philip Marlowe zu feiern. Stattdessen ist es jetzt ein Ermittler geworden, der mit seinen hartgesottenen Kollegen nichts als die Zeit gemeinsam hat, in der seine Romane entstanden sind. Dafür ist Leonidas Witherall, pensionierter Lehrer und Shakespeare-Doppelgänger, aber einer meiner Favoriten, vor allem sein zweiter Fall, The Cut Direct, war in den frühen Neunzigern eines meiner absoluten Lieblingsbücher. Weil ich aber Serien in chronologischer Abfolge lesen will, habe ich jetzt mit dem ersten Band der Reihe, Beginning with a Bash, angefangen. Und was soll ich sagen? Vielleicht hätte ich das Buch besser übersprungen und direkt mit The Cut Direct angefangen, in der Hoffnung, dass mir das Buch noch genauso gut gefällt wie 1992.
Auch für amerikanische Leser:innen Taylors begann die Witherall-Reihe bis in die Siebzigerjahre hinein mit dem zweiten Teil. Der erste Band, veröffentlicht 1933 im Mystery League Magazine, sollte nach Ansicht von Taylors amerikanischem Verleger nicht neu aufgelegt werden – auch wenn die Autorin, die gerade mit ihrer Asey Mayo-Reihe große Erfolge feierte, das Geld gut hätte brauchen können – um zu verhindern, dass der Markt eine Taylor-Übersättigung erlebt. Und ein geschlossenes Pseudonym schied für den amerikanischen Markt aus urheberrechtlichen Gründen aus, da die Magazin-Veröffentlichung unter Taylors richtigem Namen erschienen war. So kam das Buch dann 1937 im Vereinigen Königreich heraus, unter dem Pseudonym Alice Tilton. Und weil das Buch dann so gut ankam, schrieb Taylor/Tilton eine Reihe von Fortsetzungen, die dann wiederum – der Verleger hatte sich das derweil anders überlegt – auch in den USA erschienen. Nur Beginning with a Bash fehlte bis in 1972 in dieser Reihe, und nachdem ich es jetzt gelesen habe, war es gar nicht so schade darum.
Spätere Auflagen der nun wieder kompletten Reihe verzichteten auf das Pseudonym der 1976 verstorbenen Autorin oder verwendeten die Formulierung »Phoebe Atwood Taylor schreibt als Alice Tilton«, sodass ich die Bücher auch im meinem Regal und hier im Blog unter Taylors richtigen Namen laufen lasse. Sie feierten in den Neunzigern ein kleines Revival und sind heute, wie auch Taylors Asey-Mayo-Romane, im Druck nur noch antiquarisch zu haben und nur zum kleinen Teil als Ebooks neu aufgelegt worden. Auf Deutsch ist die Witherall-Reihe in Dumonts Kriminal-Bibliothek erschienen, die ich gesammelt habe und nahezu komplett besitze, sodass ich diese Bücher wahlweise auf Deutsch und Englisch lesen kann. Obwohl die Übersetzungen wirklich gut sind, bin ich hier aber beim Original geblieben.
Die Leonidas-Witherall-Reihe zeichnet sich durch einen nicht zu verachtenden Humor aus, Protagonist Witherall kommt von einer absurden Situation in die nächste und klärt dabei eher nebenbei den Mord auf, den man üblicherweise ihm selbst in die Schuhe geschoben hat. Dabei sammelt er eine Crew verschrobener Gestalten um sich, die man nur im besten Rollenspielersinn als Heldengruppe bezeichnen kann, wäscht seinen Namen rein und veranstaltet am Ende einen großen Showdown, der in Anlehnung an den Sieg des zahlenmäßig stark unterlegenen, aber listig das Terrain ausnutzenden Hannibal als »Cannae« bezeichnet wird – eine Wendung, die Leonidas selbst in der von ihm geschriebenen Abenteuerroman-Reihe um Lieutenant Hazeltine verarbeitet hat, die wirklich jeder kennt, ohne zu wissen, dass sie von ihm stammt.
In Beginning with a Bash – auf Deutsch erschienen unter dem Titel Schlag nach bei Shakespeare – fehlen viele dieser Elemente noch. Da schreibt Leonidas noch keine Bücher, und dementsprechend wird auch noch kein Cannae inszeniert. Der Humor ist da, aber noch nicht so prominent wie später – vor allem aber ist dieses Buch kein richtiger Krimi. Nach weniger als dem halben Buch haben sich Leonidas und seine Gefährten zusammengereimt, wer den Anthropologieprofessor North erschlagen hat, und verbringen den Rest des Buches nicht etwa damit, es der Zielperson nachzuweisen: Nein, in bester Räuberpistolenmanier flieht die Gruppe vor einem irischen Mob-Boss, versteckt sich vor der Polizei (obwohl diesmal noch niemand Leonidas selbst des Mordes verdächtigt hat) und bricht in verschiedene Häuser ein, weil sie es können. Ermittlungen? Fehlanzeige.
Zur Heldengruppe in diesem Band gehört ein italienischer Mob-Boss (mit dem Irischen verfeindet, aber mit dessen Schwester liiert, was dem Ganzen einen Hauch von Romeo und Julia mitbringt), und diese Figur ist schier übermächtig darin, immer noch hier und da einen Getreuen zu organisieren, Gorillas auf die Zielperson abzustellen, Autos aufzubrechen oder aufzutreiben, und neben diesen Umtrieben gerät der zurückhaltende Leonidas beinahe zur Nebenfigur. Auch im großen Showdown im Schnee werden dicke Schusswaffen geschwungen (und auch abgefeuert), und das ganze ist wirklich mehr ein Abenteuerroman aus dem Amerika der Wirtschaftskrisenzeit denn das, was man als klassischen Kriminalroman bezeichnen würde.
Dann wieder ist das Buch für einen Abeneuerroman doch ziemlich zerredet. Die Figuren führen endlos lange Dialoge über Was-hätte-sein-können oder Was-könnte-noch-alles-kommen, über Was-könnte-man-jetzt-tun und Wo-steckt-eigentlich-gerade… – und dabei passiert dann über weite Strecken ziemlich wenig, bis die nächste Actionsequenz an die Tür klopft und die Gruppe wieder das Weite suchen muss. Dabei sind diese Dialoge lebendig geschrieben, die Figuren interessant gezeichnet, und in bester Screwball-Manier spielen sie sich die Bälle zu – aber das Buch ist einfach nicht besonders gut gealtert.
Zwei Elemente sind unangenehm präsent in Beginning with a Bash – Rassismus das eine, Frauenfeindlichkeit das andere. Der Rassismus kommt vor allem dann zum Tragen, wenn es um die anthropologische Tätigkeit des ermordeten Professors und der stellvertretenden Leiterin des Völkerkundemuseums geht. Der eine forscht über die indigenen Völker Nordamerikas, die andere über indigene Südseeinsulaner, und abgesehen davon, dass Völkerkundemuseen in den Dreißigerjahren per se eine rassistische Angelegenheit waren, fallen hier einige sehr abwertende Begriffe über die angehörigen der erforschten Völker, ihre Rituale und Kultgegenstände werden durch die (weißen) Figuren ins Lächerliche gezogen, und beim Lesen hat sich das doch ziemlich unangenehm angefühlt. Ich weiß, dass man ein Buch aus seiner Zeit heraus betrachten muss, aber die verwendeten Begriffe – selbst wenn sie nur in Dialogen verwendet werden – waren auch damals schon abwertend und beleidigend. Dass diese Kommentare von einer eher ungebildeten Figur verwendet werden, heißt nicht, dass Taylor hier einem Rassisten den Spiegel vorhalten wollte – ich denke mehr, sie reflektiert den Rassismus ihrer Zeit, ohne ihn jemals zu hinterfragen.
Die frauenfeindlichen Elemente des Buches kamen für mich eher unerwartet. Bei Dashiell Hammett haben sie mich nicht gewundert, aber von einer Autorin, die in den frühen Dreißigerjahren finanziell auf eigenen Füßen stand, hätte ich einfach etwas anderes erwartet. Dabei ist die Darstellung von Frauen in Beginning with a Bash differenziert und vielseitig – da ist Dot, die das Antiquariat ihres verstorbenen Onkels geerbt hat und versucht, damit auf einen grünen Zweig zu kommen; Gertie, die Mobster-Schwester und -geliebte, zugleich Hausmädchen des Erdmordeten, und Agatha, mit vollem Namen Mrs. Sebastian Jordan, Gouverneurswitwe mit Haaren auf den Zähnen: Allesamt interessante, positive Frauenfiguren. Aber über die stellvertretende Museumsleiterin, eine Frau, die nicht damit zufrieden ist, irgendwie über die Runden zu kommen, sondern Karriere machen will, ergießt sich eine Häme, die ich nicht verstanden habe – nicht nur durch die Figuren, sondern durch Taylor selbst.
Diese Frau bereist die Südsee, erforscht die Fruchtbarkeitsrituale indigener Völker, liest pornographische Bücher und hat eine (sehr klar angedeutete) Sammlung von phallischen Objekten, und das Buch wird nicht müde darin, mir zu sagen, wie widerwärtig diese Person doch ist, karrieregeil, unweiblich – vielleicht, weil besagte Frau keinen Partner hat und auch nicht auf der Suche nach einem, während die positiv dargestellten Frauen zumindest da wissen, wo sie hingehören – selbst die ledige Dot scheint doch vor allem in der Sache drinzuhängen, weil sie ein persönliches Interesse hat, den zu Unrecht beschuldigten Martin von den Mordvorwürfen reinzuwaschen. Und die Vorstellung, eine Frau in stellvertretender Position könnte danach streben, selbst die Leitung zu übernehmen, selbst die Chefin zu werden – ist das so abwegig, so schockierend? Da zeigt sich das Alter des Buches doch auf eher unangenehme Art.
Aber es ist nicht alles schlecht an Beginning with a Bash. An vielen Stellen lässt das Buch schon erahnen, was uns in den späteren Bänden der Reihe erwartet. Wenn die Morgenzeitung über den Mord und die Ereignisse der zu langen Nacht berichtet und, weil von dem mutmaßlich entführten Leonidas kein Foto aufzutreiben war, stattdessen ein Portrait Shakespeares, komplett mit elisabethanischem Rüschenkragen, abdruckt, ist das ein kleines Schmankerl. Oder wenn die Gefährten im gestohlenen Gefährt in eine Polizeikontrolle geraten und sich nebenbei herausstellt, dass sie tatsächlich im Auto von Agatha sitzen, die es amüsanter fand, diesen Umstand für sich zu behalten, gibt das wirklich nette Situationskomik. Das sind Momente, da weiß ich wieder, wofür ich diese Reihe so geliebt habe.
Nur der Krimiplot ist einfach viel zu dünn. Da wird sich auf eine Zielperson eingeschossen aus kaum einem Grund, als dass man sie nicht leiden kann, und am Ende unter Gewaltandrohung ein Geständnis erpresst, das ebenso gut falsch sein kann – da wünsche ich mir die raffinierten Cannae-Wendungen der späteren Bände, oder zumindest das, was ich von ihnen in Erinnerung habe, herbei. Zu vieles an dem Plot wirkt konstruiert, oder konstruierter als für Krimis ohnehin üblich, wenn sich alle Figuren untereinander kennen – Boston scheint ein Dorf zu sein, in dem man dauernd in Leute hineinrennt, mit der man schon vor Jahren etwas zu tun hatte, und so ist auch Agatha eine frühere Flamme von Leonidas und verspricht, in einem späteren Band noch einmal aufzutreten, damit sich vielleicht doch noch etwas ergeben kann. Und überhaupt verhält sich jede:r, als wäre Leonidas ein alter Freund, haben sie doch »seine« Werke im Schulunterricht durchgenommen – das liest sich alles ganz lustig, aber nicht besonders glaubwürdig. Oder verlange ich da zu viel?
Alles in allem lässt mich Beginning with a Bash doch eher enttäuscht zurück. Ich hatte das Buch – das dritte aus der Reihe, das ich damals gelesen habe – als schwächer als den Rest in Erinnerung, aber wie schwach es wirklich ist, hatte ich nicht mehr im Kopf oder mit neunzehn Jahren, als ich es in einem Antiquariat in Albuquerque, New Mexico, erstanden habe, noch nicht als derart schwach wahrgenommen. Und natürlich bin ich für bestimmte Themen, wie die Rassismus-Sache, doch heute deutlich stärker sensibilisiert. Aber alles in allem denke ich, es ist kein Buch, das man gelesen haben muss. Die Leonidas-Witherall-Reihe lässt sich ebenso gut mit dem zweiten Band beginnen – und wie gut der wirklich ist, darüber werde ich Bericht erstatten, wenn ich ihn – kommt bald! – gelesen habe.
Bis dahin wandert das ausgeblichene, zerfledderte Taschenbuch zurück ins Regal. Und ich denke, wenn ich in zwanzig Jahren nochmal Lust auf diese Reihe bekomme, werde ich dieses Buch hier großzügig überspringen.