Mit so großen Plänen bin ich ins Lesejahr 2025 gestartet, um so tiefer bin ich gefallen, als ich, noch ehe es Frühling wurde, aus dem Lesen wieder rausgerutscht bin. Ein paar Bücher habe ich noch zu Ende gelesen, aber nicht mehr rezensiert, und nun ist es zu spät dafür, ich erinnere mich nicht mehr genug an die Wendungen und meine Kritikpunkte, um eine fundierte Rezension zu verpassen. Über ein halbes Jahr lang habe ich dann gar nichts mehr gelesen, während mir weiterhin jeden Monat zwei bis drei Buchboxen ins Haus flatterten – die dritte habe ich dann im September gecancelt, aber es war schon zu spät: Da stapeln sich inzwischen so viele Bücher nicht mehr nur auf dem Regal neben meinem Bett, sondern auch gleich darin, und auf dem Fußboden daneben, und ich wollte nicht mehr bis zum ersten Januar warten, um meine guten Lesevorsätze in die Tat umzusetzen, sondern habe schon zum ersten Dezember wieder mit der Lektüre angefangen – nicht mit den Büchern, die schon am längsten darauf warten, sondern mit dem letzten Neuzugang, der Illumicrate aus dem November.
A Rather Vengeful Accord versprach mir vieles: Eine Enemies-to-Lovers-Story im Dark-Academia-Setting, eine neurodivergente, bisexuelle Haupfigur, queere Nebenfiguren, Schwertkampf und Nekromantie. Und auch wenn ich wirklich Spaß an der Lektüre hatte und das knapp vierhundertseitige Werk in unter einer Woche durchgelesen hatte, war doch zu vieles von dem, was mir der Illumicrate-Blurb versprochen hatte, nicht in der Geschichte. Weder wirkt die Hauptfigur, Ich-Erzählen Halen Killchoir, irgendwie neurodivergent, noch scheint sie an Frauen interessiert zu sein- und selbst ihren Love Interest Alastair möchte sie, da zumindest das Enemies-to-Lovers-Trope erfüllt werden sollte, mit der Kneifzange nicht anfassen.
Muss sie aber: die beiden werden in einem reichlich konstruiert wirkenden Schachzug zu einem Akkord, einem Zweierteam, zusammenberufen, um so mit anderen Anwärter:innen um einen Studienplatz an der renommierten Akademie St. Penderghast zu konkurrieren. Sie schaffen es oder scheitern gemeinsam – und das, obwohl sie ganz unterschiedliche Sachen studieren wollen: Alastair ist ein begabter Spirer, ein Schwertkämpfer, der danach strebt, in der Arena unter dem Jubel des Publikums gegen die abscheulichen Kreaturen einer gefallenen Göttin zu kämpfen. Halen hingegen träumt davor, ein Graver zu werden und, in Nachfolge ebendieser Göttin, nekromantische Bestien zu erschaffen.
Weil Alastair aus einer (einfluss)reichen Familie stammt, soll er seinen Willen bekommen: Das unfreiwillige Team tritt also in der Kategorie Spiring an, ein Deal, auf den sich Halen nur einlässt, weil sie hofft, wenn sie einmal einen Fuß in der Tür hat, zu den Gravern zu wechseln. Oder zumindest, da sie auch ein gewisses Talent fürs Spiring mitbringt, beide Fächer parallel zu studieren. Ihre eigene Genetik scheint ihr da einen Strich durch die Rechnung zu machen: Halen muss verstehen, dass sie wie Alastair göttliches Blut hat, was sie zwar befähigt, in der Arena ihre Frau zu stehen, aber leider zur Folge hat, dass ihr als Graver das rechte Talent fehlt.
Aber Halen ist unbeirrbar. Da können ihr alle noch so oft sagen, dass sie nicht zum Graver taugt, sie will es trotzdem, und unter niemand Geringerem studieren als der Großmeisterin Mortritis. Die wiederum niemand anderes ist als Alastairs Tante. Während sie also um deren Aufmerksamkeit wirbt und eine Chance, ihr Können zu beweisen, muss sie gleichzeitig mit Alastair das Spirer-Casting überstehen, wo sie zu Publikumslieblingen und Favoriten des pompös-aufgeblasenen Großmeisters Edusa werden. Sind Alastairs Annäherungsversuche echt – oder nur ein Pressestunt? Halen muss sich entscheiden, was sie will – und ob sie bereit ist, den Preis für ihre Träume zu bezahlen …
Aber zu einer Enemies-to-Lovers-Story gehört, zumindest nach meiner Vorstellung, mehr als zwei Leute, die andauernd beteuern, dass sie sich nicht ausstehen können. Da sollte schon ein gewisses Maß an Anziehungskraft da sein, an Charisma auf beiden Seiten, das bei den Lesenden den Wunsch weckt, die beiden mögen ihre Animositäten überwinden und verstehen, dass sie füreinander geschaffen sind. Und genau daran krankt A Rather Vengeful Accord. Keiner von beiden kann mit viel Charisma aufwarten – insbesondere Halen ist ein ausgesprochen unsympathischer Charakter, und nicht einmal interessant unsympathisch. Ihr Verhalten gegenüber Alastair – die beiden sind im gleichen Internat aufgewachsen – kann man letztlich nur als Mobbing bezeichnen: Sie beleidigt ihn, wo immer sie kann, setzt Gerüchte über ihn in die Welt, während er in erster Linie ein orientierungsloser, vom Vater verstoßener Junge ist, der diese Behandlung nicht verdient hat.
Die Enthüllung, dass er über all die Jahre heimlich in sie verliebt war, kann nicht nur nicht überzeugen – er ist ein Schlag ins Gesicht aller Mobbingopfer. Was will uns die Autorin damit sagen? Behandle jemanden wie den letzten Dreck, er oder sie wird dich trotzdem lieben? Ehrlich, da ist nichts Romantisches dran. Und das einzige, das zwischen Halen und Alastair knistert, sind die göttlichen Blitze, mit denen sie in der Arena ihre Schwerter aufladen, um damit Missgeburten zu spalten. Und ich habe das Gefühl, Danielle Knight war sich dieser Schwäche, wo es um die Romantik ging, durchaus bewusst, denn die Schwerpunkte der Geschichte liegen anderswo.
Wenn man sich einmal an Halens endlose Monologe gewöhnt hat, in denen sie mit ihrem Schicksal als Spirer hadert, und sich damit abgefunden hat, dass eigentlich keine Figur in der Geschichte auch nur annähernd sympathisch ist, hat man eine durchaus spannende Geschichte, die mit gelungenem Weltenbau, viel Schwertkampf-Action und ein paar durchschaubaren Intrigen aufwartet. Ich werde gern – und selten – überrascht, und A Rather Vengeful Accord hat mich mehrmals überraschen können. Plotwendungen, mit denen ich fest gerechnet hatte, sind ausgeblieben, dafür gab es ein paar Wendungen, die ich nicht habe kommen sehen, und am Ende überschlagen sich die Ereignisse und lassen das Buch mit einem durchaus gelungenen Cliffhänger enden, der mich den – noch nicht angekündigten – zweiten Band herbeisehnen lassen.
Kein schlechter Griff, um nach einem halben Jahr Pause wieder ins Lesen einzusteigen. Aber auch nicht das beste Buch, das ich dieses Jahr gelesen habe. Zu oft merkt man Autorin Knight, deren Debütroman das ist, ihre Unerfahrenheit an. Nicht nur die erwähnten Endlos-Monologe hätten im Lektorat etwas eingedampft gehört, auch die schiere Besessenheit mit der Frage, was die Figuren für Kleidung tragen und welche Farbe die hat, fängt schnell an zu nerven – und wenn ich noch einmal die Farbzeichnung »Rotkehlchen-Ei-Blau« lesen muss, schreie ich! Daraus hätte man ein Trinkspiel machen können und wäre damit in guter Gesellschaft gewesen, denn die Graver trinken eigentlich dauernd. Letzteres macht mir als Leser wenig aus, aber ich kann mir vorstellen, dass es andere als störend empfinden könnten, und es dient letztlich keinem (Plot)Zweck, der zur Schau gestellte Alkoholismus bleibt ohne Konsequenzen.
Stilistisch muss man dem Buch vorwerfen, sich in unnötig geschraubten Formulierungen zu verlieren. Ich lerne im Englischen gerne neue Vokabeln dazu, aber ich habe schon einen sehr großen Wortschatz, und wenn ich dann in jedem Satz über eine neue Vokabel stolpere und nicht weiß, ist das jetzt ein echtes Wort oder ein von der Autorin erfundener Kunstbegriff, macht das weniger Spaß. Erst, als ich mit dem Roman durch war, fand ich am Ende einen Index der wichtigen roman-spezifischen Begriffe – da brauchte ich den auch nicht mehr, ich hätte ihn gerne, wie das bei What Monstrous Gods der Fall war, am Anfang gehabt, oder zumindest einen Hinweis, dass dieser Index existiert.
Ich blättere ja nicht auf Gut Glück immer ans Ende, ich will nicht gespoilert werden, und hier gab es nur einen Hinweis auf die Content Notes – gut, dass das Buch welche hat, gut, dass sie am Ende sind, denn sie enthalten einen relativ dicken Spoiler – dafür fehlt die Erwähnung sexuellerer Ausbeutung Jugendlicher, was ich für durchaus erwähnenswert gehalten hätte, auch wenn das nur erwähnt und nicht beschrieben wird. Natürlich, als Autor:in kann man nicht wissen, was die Lesenden triggert, aber hier wird etwas als »Manipulation durch eine Autoritätsperson« umschrieben, das eine deutlich sexuelle Komponente hat und einen Dreizehnjährigen betrifft. Da hätte ich mir wirklich eine klarere Kommunikation gewünscht, nicht für mich selbst, aber für Leser;innen, die selbst entsprechende Erfahrungen machen mussten.
Was ich auch vermisst habe, sind Karten – sowohl eine Landkarte als auch ein Plan der Penderghast-Akademie wären schön, und ich kann nur hoffen, dass der zweite Band, der so klingt, als würde er größtenteils außerhalb der Akademiemauern spielen und eine Überlandreise beinhalten, dieses Manko vielleicht beheben kann. Aber am schmerzlichsten gefehlt, nach der vollmündigen Ankündigung, hat mir queere Repräsentation. Ja, eine Nebenfigur ist queer – eine Nebenfigur mit drei sehr kleinen Auftritten, und die Queerness erstreckt sich auf eine Szene, in welcher der Betreffende einem anderen Jungen die Zunge in den Hals schiebt. Als wäre das Thema damit abgehakt, spielen weder der namenlose Sexpartner, noch seine Sexualität jemals wieder eine Rolle. Und auch hier kann ich nur auf den zweiten Band hoffen, wo diese Figur eine größere Rolle spielen dürfte.
Trotzdem, genug gemeckert. Ich hatte Spaß an diesem Buch, habe die letzten hundertzwanzig Seiten in einem Rutsch gelesen und würde mir die Fortsetzung gleich hintendran kaufen, wäre A Rather Vengeful Accord nicht so dermaßen frisch auf dem Markt, dass die Fortsetzung erst noch geschrieben werden muss. The Hallowed Game, so der Reihentitel, ist als Duologie angekündigt. Ich hätte eigentlich mit mehr Teilen gerechnet, weil die Welt Potenzial hat und im ersten Teil nur die Aufnahmeprüfung der Akademie abgefrühstückt wird. Jedenfalls freue ich mich schon zu erfahren, wie es weitergeht, auch wenn – oder gerade weil – die Liebesgeschichte hier nur die zweite Geige spielt.




