Melissa Caruso: The Last Soul Among Wolves

In einem Jahr, in dem ich dann doch viel weniger gelesen habe als geplant, ist es leicht, mein absolutes Jahreshighlight auszumachen: The Last Hour Between Worlds von Melissa Caruso, das Buch mit den gestapelten Parallelwelten und der Zeitschleife, das ich im Januar regelrecht weggeatmet habe. Schon damals war ich auf die angekündigte Fortsetzung freudig gespannt, aber auch skeptisch: Das erste Buch war für mich in so vieler Hinsicht perfekt gewesen, dass ich mir schlecht vorstellen konnte, wie Caruso das nochmal toppen oder auch nur wiederholen sollte.

Trotzdem konnte ich mir das zweite Buch der Echo Archives nicht entgehen lassen, ich habe es bei der Illumicrate vorbestellt, damit die Bücher auch in ihrer Aufmachung aus einem Guss sind, selbst wenn ich da schon schönere Bücher hatte und es einschließlich Zoll und Porto deutlich teurer war, als wenn ich mir die reguläre Ausgabe über den Buchhandel bestellt hätte. Ich habe diese Investition nicht bereut. Aber auch wenn mir The Last Soul Among Wolves gut gefallen hat, muss ich doch sagen, dass es für mich dem ersten Teil nicht das Wasser reichen konnte und mich nicht so gefesselt hat – ich habe es im September bekommen und zu lesen begonnen, dann beiseitegelegt und erst jetzt in gemütlichem Tempo zu Ende gelesen. Und »Tempo« ist ein gutes Stichwort für das, worin The Last Hour Between Worlds der Fortsetzung überlegen war.

Das Tempo des ersten Buchs war perfekt. Eine Nacht, eine sich immer wiederholende Stunde, in Echtzeit erzählt, dass man es gar nicht mehr aus der Hand legen wollte aus Angst, etwas zu verpassen. Das hat Caruso im zweiten Buch nicht wiederholt. The Last Soul Among Wolves ist immer noch dicht erzählt, entspricht aber mehr einem gutgemachten konventionellen Roman, überspringt Szenen oder fasst sie kurz in indirekter Rede zusammen, was mich immer wieder aus dem Fluss rausgerissen hat und der Immersion nicht zuträglich war, und der Showdown drehte sich dafür zu lang auf der Stelle, fühlte sich stellenweise redundant an, und auch wenn es nicht so schlimm war, dass es das Buch runtergezogen oder gar ruiniert hätte, hat es eben an die Perfektion des ersten Teils nicht ran gereicht.

Vielleicht lag es auch daran, dass der eigentliche Krimiplot schon gut hundert Seiten vor dem Ende aufgelöst war und ich nichts mehr zum mitraten hatte. Da hatten wir ein klassisches »Der Mörder ist unter uns«-Szenario, wie ich es aus vielen Krimis von Agatha Christie kenne und schätze, wieder mit interessanten Figuren, und ich hatte Spaß daran, auch wenn die Auflösung für mich, die ich alle eingestreuten Hinweise richtig erkannt und eingeordnet hatte, keine Überraschung mehr bereitgehalten hat. Eine Stelle fand ich unlogisch, und auch wenn Caruso mir dafür eine Erklärung geboten hat, wirkte die wie eine während des Lektorats nachträglich eingebaute Notlösung für etwas, das sonst das ganze Konstrukt zum Einsturz gebracht hätte.

Und konstruiert wirken auch andere Teile des Romans. Da wird Kembral Thorne, die Protagonistin, die wir schon aus The Last Hour Between Worlds kennen, von ihrer Jugendfreundin Jaycel Morningray, ebenfalls eine wiederkehrende Figur, gebeten, sie zu einer Testamentseröffnung zu begleiten, zu der sie vorgeladen ist – und nicht nur Jaycel: Auch drei weitere Mitglieder von Kembrals alter Bande, die sie seither aus den Augen verloren hat, sind da. Da ist der wissbegierige Mareth, der sich der Rabengilde angeschlossen hat; Dieb Petras, der inzwischen eine Spielhölle betreibt, und Vy, die zur See gefahren ist – ein Wiedersehen, das freudiger sein könnte, wäre es nicht unter äußerst bedenklichen Umständen zusammengekommen.

Denn weil diese vier Freunde an einem Tag, als ausgerechnet Kembral nicht dabei war, in ein Anwesen eingestiegen sind und, wo sie gerade dabei waren, auf ein verfluchtes Buch geblutet haben (Vy aus Versehen, die anderen dann mit Absicht, um Vy nicht allein zu lassen), stehen da jetzt ihre Name ihre Namen in blutiger Schrift, und sie sind, zusammen mit vier anderen, Kandidaten, drei verfluchte Artefakte zu erben – das heißt, der oder die Überlebende erbt. Die übrigen werden innerhalb der nächsten Tage ums Leben kommen. Und weil Kembral an ihren Freunden hängt, ist sie enger in den Fall verstrickt, als ihr lieb sein kann, und beginnt einen Wettlauf gegen die Zeit, um so viele Leben wie möglich zu retten, während um sie herum ein verhinderter Erbe nach dem anderen ins Gras beißt.

Hat mich The Last Hour Between Worlds noch in seiner Ausgangssituation an Christies Nicotin erinnert, sind wir jetzt also bei And Then There Were None angekommen. Aber Kembral ist nicht allein in ihrem Bestreben, den Wolf mit der Lampe aufzuhalten und die gefangenen Seelen zu befreien: Da ist auch Rika Nonsuch, ihre ehemalige Gegnerin, jetzt Lebensgefährtin, und über die Beziehung fällt ein kleiner Schatten, weil Rika, die in ihrer Tätigkeit als Angehörige der Katzengilde von Petras dazu gerufen worden ist, Kembral ganz professionell nicht verraten will, weswegen sie da ist, was sie weiß und um was es überhaupt geht.

Und in dem Zusammenhang geht Kembral dann auf, wie viel sie eigentlich nicht weiß über ihre Freundin – die hängt zwar andauernd bei Kembral zu Hause rum, aber Kembral weiß noch nicht einmal, wo Rika wohnt, geschweige denn dass sie schon einmal bei ihr gewesen wäre. Das führt dann zu Spannungen, die aber, weil man ja schon weiß, dass die beiden sich eigentlich lieben, weniger überzeugend wirken als die Situation im ersten Buch, wo sie sich als vermeintliche Feindinnen überhaupt erst zusammenraufen mussten. Den Rest des Buches über agieren sie gemeinsam, auch wenn sie zu bestrebt sind, die andere aus der Gefahrenzone zu halten und sich zu oft für die andere aufopfern wollen – das nutzt sich ein bisschen ab.

Was die übrigen Figuren angeht, sind sie von durchwachsener Komplexität – das ist etwas schade, weil für ein solches Mörderspiel wichtig ist, interessante, vielschichtige Charaktere zu haben, bei denen man letztlich allen zutrauen können muss, Täter:in zu sein. Hier reicht es von Willa Lovegrace, Nichte der Erblasserin und zu klar als Unsympathin gezeichnet, ein rechtes Abziehbild ohne Tiefgang; Sängerin Silena Glory, deren Geheimnis zu schnell aufgedeckt ist und der es trotz großer Rolle in der Geschichte an Facetten mangelt, bis hin zu Vy und Petras, denen eine interessante Charakterentwicklung zugestanden wird und die überraschen können.

Ausgerechnet Jaycel, die ich im ersten Buch, wo sie aber nur eine kleinere Rolle innehatte, noch sehr mochte, bleibt hier im Vergleich zu ihren in diesem Buch neu eingeführten Freund:innen blass und seltsam eindimensional, vor allem aber vorhersehbar, was schade ist: Vom Konzept her eine interessante Figur, bringt sie im Vergleich zu The Last Hour Between Worlds nichts Neues mit und kann nur ganz am Ende mit einer kleinen Erkenntnis auftrumpfen. Und wo ich mich über ein Widersehen mit Jaycels Geschwister Blair von der Rabengilde sehr gefreut hätte, tritt diese Figur das ganze Buch über nicht auf – ich hoffe auf ein Wiedersehen im dritten Buch, dann auf der letzten Seite wird mir eine Fortsetzung versprochen. Auch die will ich wieder gerne lesen, auch wenn The Last Soul Among Wolves in sich abgeschlossen ist – aber bezüglich Rikas Abstammung und Vorbestimmung, die in diesem Buch eine große Rolle einnehmen, sind noch Fragen offen, die ein dritter Teil vielleicht beantworten kann.

Dabei bin ich mir nicht sicher, wie viel das Setting noch hergibt. Elemente, die im ersten Buch noch frisch und faszinierend waren, haben sich im zweiten Buch leicht abgenutzt. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie Szene, die in den Echos – den kaskadierenden Parallelwelten der Stadt Acantis – spielen, nicht so sauber in die Handlung einfügen wie beim ersten Band, als gegeben vorausgesetzt und nicht mehr so liebevoll beschrieben werden. In The Last Hour Between Worlds musste sich Kembral noch durch alle elf langsam eskalierenden Echos arbeiten. In The Last Soul Among Wolves spielt hingegen nur das fünfte Echo eine Rolle, was so weit geht, dass, als sich Kembral und Rika von dort nach oben durcharbeiten müssen, die Ebenen drei bis eins mit einem Satz zusammengefasst werden, als wären sie keine Ausführung mehr wert.

Das führte dazu, dass ich mich während der actiongeladenen Echo-Szenen zurück in das Lovegrace-Anwesen und das dort laufende Mörderspiel zurückgesehnt habe, bei dem das Tempo besser zu stimmen schien und das Spannungsniveau besser war. Im Echo ist von Anfang an klar, wer die Gegenspielerin ist: Empyrian Arhsta, auch schon bekannt aus Band Eins, die überhaupt hinter allem zu stecken scheint und daraus auch von Anfang an keinen Hehl macht. Das tut der Mördersuche nicht gut, denn sobald früh in der Handlung klar ist, dass Empyrians im Spiel sind, handeln nicht einmal der oder die Mörder aus freien Stücken, sondern sind nur noch Handlanger in einem Spiel der Unsterblichen.

Aber ich meckere hier auf hohem Niveau. Auch The Last Soul Among Wolves ist ein gutes, gelungenes, über weite Strecken spannendes Buch. Es verblasst neben seinem Vorgänger, der aber auch wirklich eine Ausnahmeerscheinung war, die so leicht nicht wieder zu erreichen ist. Ich empfehle beide Bücher ohne Einschränkung – aber es wäre ein Jammer, direkt mit The Last Soul Among Wolves anzufangen und den ersten Band zu überspringen. Das würde auch die Lektüre der Fortsetzung sehr erschweren, denn zu viel aus The Last Hour Between Worlds wird vorausgesetzt und nicht nochmal erklärt, was es selbst für mich, bei der zwischen der Lektüre der beiden Bücher immerhin elf Monate lagen und die eine ausführliche Rezension zur Gedächtnisstütze hatte, stellenweise schwergemacht hat.

Vielleicht ist es das Beste, wenn der dritte Band – vom Verlag noch nicht angekündigt, also frühestens im Herbst 2026 zu erwarten – erscheint, nochmal die beiden anderen Bücher zu lesen, denn ich rechne damit, dass auch dieses Buch nicht viel Zeit auf Einführungen und Erklärungen vergeuden wird und direkt in die Handlung hineinspringen wird. Ich freue mich auf das Buch, wenn auch mit noch größerer Skepsis als beim zweiten Band. Aber bis dahin will ich mir gern anschauen, was Melissa Caruso noch so geschrieben hat. Ich bin ja nicht auf die Illumicrate angewiesen, um an Lesematerial zu kommen, und mir gefallen Carusos Stil, Erzähltechnik und Figuren gut genug, um auch ohne Echos Spaß an ihren Geschichten haben zu können.

Wer noch nach einer Lektüre für den bevorstehenden Jahreswechsel sucht, dem lege ich jetzt, mehr noch als im Januar, The Last Hour Between Worlds ans Herz. Ein tolles Silvesterbuch. Und danach, eine Fortsetzung, an der man auch eine Menge Spaß haben kann.

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