Allen Houston: Nightfall Gardens

Sagte ich in meiner Rezension zu Fürimmerhaus »Ein Haus kommt selten allein»? Hier kommt auch schon das nächste: ein durchaus spannender  Abenteuerroman für Kinder, in dem das gruselige, tagstäglich seine Form verändernde Haus in Sachen Spukfaktor nur hinter seinen drei Gärten zurücktreten muss. Nightfall Gardens von Allen Houston kommt als der Auftakt einer Trilogie daher – tatsächlich ist es aber nur ein Buch, das der selbstpublizierende Autor in drei Teilen veröffentlicht hat. So endet es nicht mit einem geschlossenen Handlungsbogen, auch nicht mit einem Cliffhänger, es hört einfach auf, und das ist ziemlich antiklimaktisch für ein ansonsten spannend geschriebenes Buch.

Die Geschwister Lily und Silas Blackwood tingeln mit ihren Eltern und einem Repertoire grottiger selbstgeschriebener Theaterstücke über die Provinzbühnen, immer auf der Flucht vor der Vergangenheit ihrer Familie, die sie in Form ihres Onkels dann natürlich trotzdem einholt. Dieser Jonquil besteht darauf, dass die Familie, zumindest aber Lily, auf den Stammsitz der Blackwoods zurückkehren, denn die Großmutter, die letzte Herrin von Nightfall Gardens, liegt im Sterben, und wenn ihr nicht eine weibliche Nachfahre nachfolgt, wird das Böse über die Welt hereinbrechen. Und weil das als Argument offenbar nicht ausreicht, kidnappt der Onkel prompt die Nichte, der Bruder reist als blinder Passagier mit, und so werden Lily und Silas, nicht ohne einen blutigen Zusammenstoß mit gewalttätigen Ziegenmenschen, die aus dem hauseigenen Labyrinth ausgekommen sind, nach Nightfall Gardens gebracht.

Dort trennen sich die Wege der ungleichen Geschwister dann auch schon wieder. Lily kommt ins Haus, um von ihrer sterbenden Großmutter noch im Schnellverfahren zu lernen, was es über den Widerstand gegen die großen Übel zu wissen gibt, während Silas dem Gärtner unterstellt wird und mit den hauseigenen Nebelreitern, deren Anführer Jonquil ist, im Nebengebäude untergebracht wird. So soll, von innen wie von außen, das Böse zurückgehalten werden, das in den Gärten von Nightfall Gardens eingesperrt ist. Aber wenn die letzte weibliche Blackwood stirbt oder sonstwie versagt, wird dieses Böse sich die Welt unterwerfen. Es ist also an Lily, die Welt zu retten – und an Autor Houston, allerlei Schrecknisse auf die jungen Leser loszulassen.

Über weite Teile liest sich Nightfall Gardens wie eine Geisterbahnfahrt. Das Haus, das man sich wie eine belebte Version des Winchester Mystery House vorstellen muss, wartet mit immer neuen Gruseleffekten auf. Lily wird gewarnt, verschlossene Zimmer nicht zu betreten und tut es natürlich trotzdem; gruseliger sind die, bei denen sie nur hinter den Türen Lachen, Weinen oder Musik hört: Wie immer ist das am gruseligsten, das man nicht sehen kann, und wo ich mich beim Lesen an keiner Stelle wirlkich gefürchtet habe, kann dieses Buch jüngeren Kindern sicherlich erfolgreich Angst einjagen. Wobei ich nicht weiß, an welche Altersgruppe sich das Buch richtet. Lily ist dreizehn Jahre alt, ihr Brüder jünger, das würde für eine Leserschaft ab zehn, elf Jahren sprechen; dagegen sind Titelbild und Aufmachung des Buches sehr erwachsen.

Mich hat das monochrome, zurückhaltend gruselige Cover sehr angesprochen, und auch der zweite und dritte Teil der Reihe sind von außen sehr schön aufgemacht. Innen merkt man aber sehr schnell, dass der Autor über das Cover hinaus nicht viel in die Veröffentlichung investiert hat. Zwar hatte er, das habe ich seiner Danksagung entnommen, einen Lektor und Korrekturleser, trotzdem strotzt das Buch nur so vor Fehlern: Grammatikfehler (vor allem Adjektive, wo Adverbien nötig gewesen wären), Groß/Kleinschreibung, Kommasetzung … Ich habe im Englischen kein Muttersprachniveau, und doch hätte ich hier mit dem Rotstift noch eine ganze Menge anstreichen können. Auch der Buchsatz ist nicht professionell erfolgt, und manchmal liest man ganze Seiten ohne Absatzmarken, wobei Dialoge in der gleichen Zeile von einem zum anderen springen: Ich habe nichts gegen selbstveröffentlichte Bücher, wenn sie professionell gemacht werden, aber hier wurde an falscher Stelle gespart.

Auch inhaltlich konnte mich das Buch nicht überzeugen. Zwar hat mir das Haus mit seinen gruseligen Gärten gefallen; ich habe, wie oft erwähnt, eine Schwäche für Häuser mit Eigenleben, aber alles wirkt sehr unausgegoren und wirkt gegenstandslos, bietet Schauer um der Schauer willen und bleibt doch eine hohle Kulisse. Vor allem die Figuren bleiben flach: Das Buch wird nicht müde, zu erwähnen, wie eitel Lily ist, und doch merkt man das an kaum mehr, als dass sie sich regelmäßig die Haare kämmt und ab und zu von einer großen Schauspielkarriere träumt. Im Gegenzug wird ihr Bruder als schüchtern beschrieben, auch davon merkt man nicht so viel.

Immerhin ist die Schilderung der Geschwister nicht so klischeeüberfrachtet wie in Hollow Earth, Lily darf sich als tatkräftig und mutig beweisen und muss nicht andauernd vom Bruder beschützt werden, aber eine differenzierte Ausarbeitung sieht anders aus. Ganz schlimm sind die unsympathischen Figuren, die dann gleich so abstoßend wie irgendwie möglich geschildert sein müssen, ohne jedwede Facette und überlicherweise ständig sturzbetrunken. Wo das Haus Nightfall Gardens in ständiges Zwielicht gehüllt ist, gibt es bei den Figuren wenig Graustufen und praktisch keine Facetten.

Und dann ist da noch die Sache mit der Büchse der Pandora. Ich habe nichts gegen Bücher, die ihre Inspiration in der klassischen Mythologie haben, aber ich mag es wirklich nicht, wenn diese Mythologie dafür völlig sinnentstellend umgeschrieben wird. Hier wurde also die Büchse von Prometheus geschaffen, um darin die alten Götter und alle Übel der Welt einzusperren, nur um von der neugierigen Pandora, Vorfahrin der Blackwoods, geöffnet zu werden, und weil Pandora eine Frau war, ist es nun also an den weiblichen Blackwoods, diese Schuld abzuarbeiten und das Haus mit all seinen Übeln zu hüten: Das ist so weit weg von der echten Sage, dass ich mich frage, warum Houston sich nicht gleich etwas eigenes ausdenken konnte.

So aber ist die Büchse irgendwo im oder um das Haus versteckt, keiner weiß wo, und wenn es Lily gelingt, sie zu finden, kann sie all die bösen Gestalten, die Geister und Nachtmahre und Götter, wieder einsperren und wird davon erlöst, bis zum Ende ihrer Tage in dem gruseligen Gemäuer festzusitzen. Sie hat das Tagebuch ihrer verschwundenen Großtante als Anhaltspunkt, aber es ist mit Magie verschlüsselt, und als es ihr endlich gelingt, darin zu lesen, erfahren wir Leser nicht, was darinsteht.

Das ist typisch für das ganze Buch: etwas wird spektakulär eingeführt, um danach nie wieder erwähnt zu werden. Zweimal ist Silas in der Situation, schurkische Umtriebe bei den Nebelreitern zu beobachten – doch er spricht mit niemandem darüber, nicht einmal, als Widerling Larkspur verkündet, ihn selbst umbringen und Lily heiraten zu wollen, um dann selbst über das Haus zu herrschen: Es passiert, spielt aber praktisch keine Rolle und wird nicht mehr thematisiert, nur um dann neue, noch nie dagewesene Geisterbahnattraktionen auffahren zu lassen und das handlungsarme Buch weiter in die Länge zu ziehen.

Dabei stecken ein paar wirklich originelle Ideen in dem Buch: Weniger Ozy, der Butler, der eine Mumie ist (und bestimmt mit vollem Namen Ozymandias heißt), dafür um so mehr Dienstmädchen Polly, eine anthromorphe Nacktschnecke. Andere Elemente sind Versatzstücke aus Mythologie und Schauergeschichte – es gibt extrem abgedroschen wirkende lebende Puppen, bedrohliche Spinnen, eine Naga-ähnliche Kreatur – und als schurkischer Vertreter des Totenreichs ausgerechnet François Villon, der zwar so heißt wie der französische Renaissancedichter und mit französischem Akzent spricht, aber keinerlei historische Einordnung erlebt und mit dessen Namen lesende Kinder sicherlich nicht das Geringste einordnen können (es sei denn, sie hatten, wie ich damals, einen Villon-Gedichtband auf dem Gästeklo stehen). Doch all das erscheint als Effekt um des Effekts willen, und das Haus hat zwar manch einen Geheimgang, aber keinen doppelten Boden.

So reißt das Buch zwei Kapitel nach dem großen Höhepunkt unspektakulär ab, und offenbar wird vom Leser erwartet, gleich mit dem zweiten Band, The Shadow Garden, weiterzumachen. Und ich denke, früher oder später werde ich den, zusammen mit dem Abschlussband The Labyrinth, auch lesen – aber trotz des offenen Endes bin ich jetzt nicht so angefixt, dass ich jetzt unbedingt sofort weiterlesen müsste. Ich verbuche die Reihe unter »nett für zwischendurch«, aber sie ist mir unterm Strich zu eindimensional. Und ich will auch eigentlich nichts darüber lesen, wie hünenartige erwachsene Männer dreizehnjährigen Mädchen nachstellen.

Lesenden Kindern würde ich das Buch eher nicht empfehlen. Da gibt es einfach so viel bessere, auch gruseligere, Bücher, als dass es ausgerechnet dieses sein müsste, und meinem monsterbegeisterten Neffen schenke ich doch lieber etwas anderes (schon weil Nightfall Gardens nie auf Deutsch erschienen ist und außerdem mein Neffe nicht der begeistertste aller Leser). Eine Empfehlung gibt es von mir höchstens für alle, die von belebten Häusern gar nicht genug bekommen möchten und das Motiv in immer neuen Variationen zelebrieren möchten, so wie manche Leute auf jeder Kirmes als erstes in die Geisterbahn steigen, selbst wenn sie sich dann überhaupt nicht darin gruseln. Kein schlechtes Buch, kein tolles Buch – eine schnelle Lektüre, die vorbeirauscht, ohne längeren oder tieferen Eindruck zu hinterlassen.

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