Victoria Schwab: City of Ghosts

Zu den Geschichten, von denen ich gar nicht genug bekommen kann, gehören Geistergeschichten. Ich mag keinen blutrünstigen Horror, keine Monster, Seen von Blut oder heraushängendes Gedärm, aber mit einer netten, ruhigen Geistergeschichte bekommt man mich immer. Ich neige dazu, mich wirklich schnell zu gruseln, und dabei macht es keinen Unterschied, ob eine Geschichte für Kinder oder Erwachsene geschrieben wurde – tatsächlich stammen die Gruselgeschichten, die mich im Leben am meisten erschreckt haben, aus Kinderbüchern. Insofern hatte ich auch keine Bedenken, dass sich Victoria Schwabs City of Ghosts an Jugendliche richtet. Geister sind Geister, und zumindest ein bisschen würde ich mich schon gruseln … Aber auch wenn das Buch dann nicht unspannend war: Gegruselt habe ich mich an keiner Stelle davon. Und das ist enttäuschend.

Die Prämisse klingt da noch spannend: Seitdem Cassidy beinahe (oder mehr als nur beinahe) gestorben ist, kann sie Geister sehen und den Schleier durchqueren, der die Welt der Lebenden vom Jenseits oder zumindest von einer geisterhaften Zwischenwelt trennt. Dementsprechend ist Cass‘ bester Freund selbst ein Geist, an sie gebunden, seit er ihr bei ihrer Mehr-als-Nahtod-Erfahrung das Leben gerettet hat. Niemand außer ihr kann Jacob sehen, und auch wenn ihre Eltern glauben, dass die ungefähr zwölfjährige Tochter einen unsichtbaren Freund hat, ahnen sie nichts von Cassidys Fähigkeiten – dabei müssten sie es eigentlich besser wissen.

In der Past Midnight-Reihe von Mara Purnhagen, deren erste Bände ich vor Jahren auf diesem Blog rezensiert habe, hat die junge Protagonistin Eltern, die als Geisterjäger bzw. Spuk-Debunker arbeiten, und das gleiche gilt auch für die Heldin dieses Buches. Cassidy Blakes Eltern haben diverse Bücher über Spukphänomene geschrieben, jetzt sollen sie auch noch ihre eigene Fernsehshow bekommen, Schwerpunkt Recherche (Vater) und Storytelling (Mutter), und das Konzept sieht vor, dass sie sich für jede Folge die Geistergeschichten einer internationalen Location vornehmen: So lässt sich eine Romantrilogie mit wechslenden Schauplätzen umsetzen, die dem Leser mit jedem Band etwas neues bietet und dazu als eine Art gruseliger Reiseführer fungieren kann. Und so wird Cassidy nach kurzer Einführung quer über den Atlantik ins ferne Edinburgh geflogen.

Edinburgh íst, anders als zum Beispiel London, ein noch nicht so abgedroschener Schauplatz für einen Schauerroman, und man merkt dem Buch an, dass die Autorin gut recherchiert hat oder gleich selbst dort gewesen ist. Edinburgh ist auch, anders als London, eine Stadt, in der ich selbst einmal gewesen bin, im Sommer 1998, und in den zwanzig Jahren danach scheint sich dort nicht viel verändert zu haben, so dass ich vieles nickend wiedererkannt habe – von den Dudelsackspielern auf der Royal Mile über die Marktschreier, die den Edinburgh Dungeon anpreisen bis hin zur Omnipräsenz von Greyfriars Bobby, dem treuen Terrier, der vierzehn Jahre lang auf dem Grab seines Herrchens verbracht hat.

Aber das Edinburgh, das in City of Ghosts präsentiert wird, ist schon wieder zu typisch. Die gängigen Schauplätze werden abgehandelt, als wäre es ein Reiseführer von Dingen, die jeder gesehen haben muss – ich hätte mich über mehr Insider gefreut, über Geheimtipps: Ich war damals für vier Tage in Edinburgh, und genau so einen Eindruck vermittelt das Buch, wie ein Kurztripp für Touristen, nicht wie eine Stadt, in der echte, lebendige (oder in diesem Fall tote) Menschen wohnen. Ich glaube gerne, dass Victoria Schwab vor Ort war, aber nicht lang genug, um sich von solchen Oberflächlichkeiten loslösen zu können.

Dazu wird dann ständig auf den Unterschieden zwischen Amerikanern (Cassidy) und Briten hingewiesen. Die nennen ihre Pommes »chips«! Und einen Aufzug »escalator«! Und tun Essig auf die Pommes! Wirklich jede sprachliche Differenz zwischen amerikanischem und britischem Englisch werden totgeritten, und wenn ich auch zugeben muss, dass es für ungeübte Ohren erst einmal wirklich schwer sein kann, einen Scots sprechenden Einheimischen zu verstehen, bekommt man doch schnell ein Ohr dafür. Und vieles wirkt überzogen, wie zum Beispiel, wenn sich ein Mädchen, das las Tochter eines Inders und einer Engländerin aus London stammt, darüber beklagt, dass sie, wenn sie zu lang in Schottland bleibt, ihre Konsonanten verlieren wird: Wenn sie nicht gerade The Queen’s English spricht, wird Lara auch in London genug Konsonanten verschlucken und zum Beispiel »Butter« wie »Bu’ah« aussprechen. Und a propos Aussprache: In Edinburgh selbst wird der Name der Stadt eher nicht wie »E-din-bu-rough« ausgesprochen, auch wenn das so im Reiseführer steht, sondern mehr wie »En-bra«. War Victoria Schwab vielleicht doch nicht selbst vor Ort?

Geradezu penetrant wird es, wenn das Buch Harry Potter zelebriert. Ja, Rowling hat in Edinburgh mit der Arbeit an den Harry Potter-Büchern begonnen, aber das wird hier so häufig erwähnt, dass ich beim Lesen zunehmend allergisch darauf reagiert habe. Die glühend transphobe Rowling ist bei mir lang schon unten durch, und ich will keinen Harry Potter lesen, auch nicht in das Mäntelchen einer anderen Geschichte gekleidet. Aber es ist Ravenclaw hier, Slytherin da, und es nervt – dass die Figur einer fiktiven Geschichte Bücher aus der echten Welt liest, macht die Geschichte nicht glaubhafter, und wirklich, Edinburgh hat so viel mehr zu bieten!

 Aber es geht ja nicht nur um Sightseeing in diesem Buch – es geht natürlich auch um Geister. Und davon hat Edinburgh auch eine ganze Menge zu bieten. Viele typische Geister, deren Geschichten man bei Stadtführungen begegnen kann, werden in City of Ghosts angerissen, und der Name ist nicht von ungefähr gewählt: Tatsächlich rühmt sich Edinburgh, eine der Städte mit dem höchsten Geister-pro-Kopf-Aufkommen weltweit oder zumindest der britischen Inseln zu sein. So viele schöne lokale Legenden gibt es da, dass es enttäuschend ist, dass sich Victoria Schwab für das Monster of the Day es ersten Bandes der Trilogie um Cassidys Abenteuer eine eigene Legende ausgedacht hat – und sich die überhaupt nicht schottisch oder Edinburgh-typisch anfühlt.

Vielmehr erinnert die Geschichte vom Raben in Rot, einer geisterhaften Frau, die mit ihrem Gesang Kinder anlockt, an die lateinamerikanische Legende von La Llorona oder amerikanische Spukgeschichten, und weswegen es dann nötig war, uns dafür überhaupt nach Edinburgh zu schleifen, erschließt sich nicht – plötzlich ist die Stadt nur noch eine hohle Kulisse, Sperrholz oder Pappendeckel, und das Buch könnte echt überall spielen. Und wo die anderen Geister, wie sich das gehört, an ihren typischen Spukort gebunden sind, taucht der Rabe in Rot eben nicht nur auf dem Greyfriars-Friedhof, wo ihre Gebeine liegen, auf, sondern an beliebigen Orten in der Stadt, was sich sehr willkürlich anfühlt.

Dementsprechend war das hinterste Drittel des Buches, Cassidys Kampf gegen den Raben in Rot, für mich der schwächste Teil des Buches. Wirklich an keiner Stelle gelingt es der Autorin, Grusel zu erzeugen, die Atmosphäre kommt nicht in Fahrt, und selbst eine Tour de Force durch die Schattenlande treibt mir noch nicht mal das kleinste Stück Gänsehaut auf den Körper. So beliebig fühlt sich das alles an, dass selbst Stellen, an denen Cassidy Todesängste ausstehen muss, lahm bleiben.

An der Stelle weiß ich noch nicht einmal, an welche Altersgruppe sich diese Reihe richten soll. Dass Cassidy zwölf Jahre alt ist, merkt man nur daran, dass sie erzählt, kurz nach ihrem elften Geburtstag in den eiskalten Fluss gefallen zu sein, und das ist jetzt ein Jahr her. Aber sie verhält sich nicht wie eine Zwölfjährige, sie könnte ebenso gut erwachsen sein oder ein Teenager, und es bleibt egal. Vielleiht soll man es daran merken, dass sie für ihren Geisterfreund Jacob noch keine romantischen Gefühle hat, aber da sie einfach gute Freunde sind, sollte das auch noch Jahre später so funktionieren können. Aber ich fürchte, es läuft früher oder später auch hier auf das Trope »Mädchen, das sich für nicht sonderlich gutaussehend fühlt, trifft höheres Wesen«.

Und vielleicht ist es tatsächlich die ständige Anwesenheit von Geist Jacob, dass in diesem Buch der Spuk nicht zünden will. Damit sind Geister etwas Normales, Allgegenwärtiges, und weil die ganze Zeit schon ein Geist im Bild ist, können auch weitere Geister einen nicht erschrecken. Das heißt nicht, dass City of Ghosts nicht spannend geschrieben ist, Schwab versteht ihr Handwerk, aber so fühlt es sich auch an, wie Handwerk, Kalkül, Schema F. Da hat mich Kiersten Whites Reihenauftakt Wretched Waterpark deutlich besser packen können, und wo ich da sofort weiterlesen wollte, ich hier ziemlich gleichgültig. Es bleiben diverse Fragen offen, insbesondere, wo es um die Vergangenheit von Jacob geht und was genau ihn jetzt an Cassidy bindet, aber die Antworten muss ich wissen, zumindest nicht sofort.

Für einen Mehrteiler braucht es Hauptfiguren, die einen so sehr packen, dass man sie über viele Bände und bis zum Ende der Welt verfolgen möchte, und genau das habe ich bei City of Ghosts vermisst. Jacob mag der Geist sein, aber Cassidy ist blass und konturlos. Sie hat ein Hobby – fotographieren, einen Freund – Jacob, und sonst irgendwie nichts, das sie bewegt. Manchmal hat sie Flashbacks über den Moment ihres Beinahetodes, aber sie scheint das alles unbewegt hinzunehmen. Was macht sie glücklich? Was macht sie zornig? Was will sie vom Leben? Sie erfährt, dass sie bestimmt ist, Geister in der Zwischenwelt zu erlösen, und nimmt auch das mit einem Schulterzucken hin – dafür, dass sie damals nicht wirklich gestorben ist, ist Cassidy als Protagonistin extrem leblos.

Und das Buch selbst fühlt sich aufgebläht an. Ja, es hat dreihundert Seiten, aber es ist in so großer Schrift gesetzt, dass es auch mit halb so vielen Seiten hätte hinkommen können, und Absätze sind oft nur wenige Wörter lang. Es war nett für zwischendurch, schnell runtergelesen, während ich auf die nächsten Bände der Sinister-Summers-Reihe warte, aber es hat mir nicht viel mehr gegeben als ein paar nette Erinnerungen an einen schönen Urlaub. Nach Edinburgh würde ich sofort noch einmal zurückkehren mögen – in die Abenteuer von Cassidy Blake hingegen nicht unbedingt. Kein schlechtes Buch, kein gutes Buch, kein Pageturner, keine fesselnde Unterhaltung: Das Leben ist zu kurz, um beige Bücher zu lesen. Und City of Ghosts ist doch wirklich ziemlich beige.

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