Emily Lloyd-Jones: The Bone Houses

Manche Bücher springen mich direkt auf den ersten Blick an – und von wegen, man soll ein Buch nicht nach seinem Cover beurteilen: Oft reicht mir das schon aus, um ein Buch haben zu wollen. Ein stilisierter Schädel aus keltischen Mustern, dazu ein Titel, der mich an alte Beinhäuser denken lässt, und da konnte ich dann auch verschmerzen, dass es wieder anstelle eines richtigen Klappentextes vor allem Lobesgesänge gab – The Bone Houses wurde gekauft. Die Prämisse klingt auch wirklich gut: Eine Totengräberin, die sich mit Untoten herumschlagen muss, ist mal ein neuer Ansatz, ich kann mich nicht erinnern, schon mal ein Buch über eine Totengräberin gelesen zu haben.

Das Buch verspricht mir eine Mischung aus Horrorroman und Märchen, vor dem Hintergrund walisischer Mythologie, und ich liebe Wales – es sprach also alles dafür, dass mir dieses Buch gefallen könnte. Und das hat es letztlich auch getan, im Großen und Ganzen. Aber es war kein walisisches Buch, das mir da hinter dem bezaubernden Cover und dem leider furchtbar fingerabdruckanfälligem Schutzumschlag begegnet ist, sondern ein durch und durch amerikanisches. Kein schlechtes Buch. Aber ich hatte mir wirklich so viel mehr davon erhofft.

Ich will nicht sagen, dass ich ein Experte für Wales wäre. Immerhin, ich bin schon dreimal dort gewesen, bin in Snowdonia gewandert, habe die Küste bereist und tolle Städtetouren nach Cardiff gemacht, und ich habe versucht, lange bevor es Duolingo gab, mittels Sprachführer Walisisch zu lernen, und bin nicht weit damit gekommen. Aber ein paar Vokabeln sind hängengeblieben, und so ist mir sofort aufgefallen, dass der Name der Hauptfigur, Aderyn, eigentlich kein Name ist, sondern das walisische Wort für den Vogel. Da war ich dann schon skeptisch, wie viel Wales ich wirklich in diesem Buch erwarten durfte und wie viel »Wie klein Fritzchen sich Wales vorstellt« ist stattdessen bekommen sollte. Und war nicht erstaunt, als es dann mehr zweiteres war, nur ein bisschen enttäuscht.

Aderyn, genannt Ryn, ist siebzehn Jahre alt und lebt mit ihren Geschwistern elternlos – die Mutter ist gestorben, der Vater verschwunden – in einem kleinen Dorf, wo sie den örtlichen Friedhof bestellt und die Toten begräbt. Die bleiben da auch tendenziell liegen, aber der angrenzende Wald wimmelt von Untoten, und als die anfangen, sich ins Dorf zu wagen, ist es an Ryn, sich dieses Problem anzunehmen. Sie erinnert sich an eine Legende, nach der im verlassenen Schloss des feengleichen Anderkönigs ein Kessel zu finden ist, der die Toten wiederaufstehen lässt, und macht sich auf, um diesen zu zerstören – begleitet vom Kartographen Ellis, der seine eigenen Motive hat, den Wald und das Reich des Andervolks zu bereisen.

Wales ist im Fantasyroman seltsam unterrepräsentiert, verglichen mit Büchern, die sich am irischen oder schottischen Sagenschatz bedient haben, aber es gibt natürlich ein paar ruhmreiche Vertreter. Da wäre Susan Cooper, die Teile ihres Wintersonnwende-Zyklus in Wales angesiedelt hat, der britische Autor Alan Garner, der zeitgenössische Themen mit walisischer Mythologie kombiniert hat, und natürlich der Amerikaner Lloyd Alexander, auf dessen Prydain-Büchern der gefloppte Disneyfilm Taran und der Zauberkessel basiert. The Bone Houses nennt Alexander in der Danksagung als großes Vorbild, und auch hier geht es um einen Kessel, mit dessen Hilfe sich Untote erheben, und beide Werke haben miteinander gemein, dass sie nicht in Wales selbst spielen, sondern in einem an Wales angelehnten Fantasy-Setting.

Es ist das Setting, mit dem ich hier am meisten gehadert habe, insbesondere seine historische Einordnung. Eine Fantasywelt muss nicht eins zu eins der irdischen Geschichtsschreibung entsprechen, aber ich hätte gern zumindest ein grobes Gefühl dafür, welcher Epoche etwas entsprechen könnte, vor allem, wenn es sich wie hier an eine tatsächlich existierende Region anlehnt. Lloyd-Jones nennt das Setting in ihrer Danksagung mittelalterlich, aber ich habe wenig bis gar kein Mittelalter in diesem Buch gefunden. Es ist alles viel zu modern – und damit meine ich nicht, dass in dieser Welt Männer und Frauen gleichberechtigt sind oder ganz beiläufig erwähnt wird, dass Aderyns Bruder auf Männer steht, sondern die Tatsache, dass wir hier gänzlich moderne Menschen mit modernen Ansichten in historischen Kostümen haben.

Da ist zum Beispiel die Vorstellung, eine Siebzehnjährige wäre ein Kind und nicht alt genug, um für ihre Familie zu sorgen – was in Ryns Fall bedeuten würde, in der nicht näher bezeichneten Stadt in ein Arbeitshaus übersiedeln zu müssen, während sie tatsächlich als tüchtige Totengräberin selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen kann. Ein Feudalherr allein, wie ihn das Dorf hat, macht noch kein Mittelalter. Und das gänzliche Fehlen von Religion – auch die Bestattungen, die Ryn vornimmt, sind mit keinerlei Kulthandlungen verbunden, und ob ein Toter begraben oder eingeäschert wird, ist eine reine Geldfrage – fühlt sich nicht ansatzwiese mittelalterlich an. Und weil das Land ja Pseudo-Wales ist, werden auch fleißig Liebeslöffel geschnitzt – ein traditioneller Brauch, der aber auch erst seit dem siebzehnten Jahrhundert überliefert ist. Aber man soll ja merken, dass es Wales ist!

Auch gestört hat mich der Umgang mit Ellis‘ Behinderung. Er hat eine kaputte Schulter, die ihn nicht nur in seine Beweglichkeit einschränkt, sondern auch ständige, an manchen Tagen unerträgliche, Schmerzen verursacht. Er kennt es nicht anders, aber was mir aufgestoßen ist, sind Ryns Beteuerungen, dass er ohne ja nicht mehr er selbst wäre – als hätte die Autorin Angst gehabt, als ableistisch zu gelten, wenn sie einem Menschen mit chronischen Schmerzen in einer Welt, in der es jenseits der vergleichbar verhalten wirkenden Weidenrinde keine lindernden Medikamente gibt, ein schmerzfreies Leben zu wünschen. Ich erwarte ja gar nicht, dass Ellis eine wundersame Heilung widerfährt – aber das Eingeständnis, dass er lieber ohne die Schmerzen leben würde, sollte Ellis schon gegönnt werden. Das sind solche Momente, in dem sich alles zu modern, zu aufgeklärt anfühlt.

Durch und durch amerikanisch wiederum sind dann Szenen, in denen Nacktheit völlig übersexualisiert wird. Da sind Ryn und Ellis unterwegs ins Wasser gefallen, durchnässt bis auf die Knochen, und als sie die Gelegenheit bekommen, sich wieder abzutrocknen, lassen sie aber ihre Unterkleider an und versichern einander, dass sie ja nicht nackt sind und darum nichts Schlimmes dabei – statt sich auszuziehen, trockenzurubbeln und wieder anzuziehen, ohne groß ein Wort drüber zu verlieren. Aber sie sind tagelang gemeinsam unterwegs, fallen andauernd in irgendwelche Gewässer, und behalten immer ihre Sachen an. Mehr noch, Ellis‘ Tasche mit seinen Pergamenten und Karten scheint nicht mal dann nass zu werden, wenn er damit im See versinkt.

Auch arg die Stirn runzeln musste ich, als der Weg die Helden durch ein verlassenes Kupferbergwerk führt. Das hat sich wirklich schlecht recherchiert angefühlt, hatte untote Bergleute mit Spitzhacken (sie hätten Hammer und Eisen gebraucht, um und ein über mehrere Lagen gehendes Minenystem, in dem Ryn und Ellis sich so lange nach oben arbeiten, bis sie dort auf einen unterirdischen See stoßen, und wie es sein kann, dass der See da oben ist und nicht längst alles geflutet hat, wird ebenso wenig beantwortet wie die Frage, wie in so kurzer Zeit, wie das Bergwerk in Betrieb war, in einem vorindustriellen Setting ein derart umfangreiches Tunnelnetz entstehen konnte. Mal ganz davon abgesehen, dass Bergleute mit Hammer und Eisen arbeiten, nicht mit Spitzhacken …

Das ist also alles nicht sehr überzeugend, fühlt sich wenig walisisch und noch weniger mittelalterlich an – und dann sind da noch die Untoten. Die sind gefühlt überall, namentlich nach Sonnenuntergang. Immer wieder laufen Ellis und Ryn in angriffslustige Skelette hinein, die sie sich dann mit Axt und Armbrust vom Leib zu halten versuchen. Diese Kampfszenen nehmen weite Teile des Buches ein und machen das Ganze sehr actionlastig. Warum es diese Untoten sind, die als »Bone Houses« bezeichnet werden, wird nie erklärt. Unter einem Haus stelle ich mir etwas anderes vor, und wirklich, ich hatte auf andere Beinhäuser gehofft, als ich mir das Buch angeschafft habe. So möchte ich Loriot zitieren:  »Ich esse es ja, aber nicht unter falschem Namen!« – wenn ihr mir ein Beinhaus versprecht, gebt mir Beinhäuser!

Dafür haben mir die Hauptfiguren gefallen, und die machen ja einen Gutteil des Buches aus. Ryn ist manchmal ein bisschen zu stereotyp taff, wenn sie ihren Spaten oder die Axt schwingt, aber sie hat ihre zerbrechlichen Momente, und Ellis ist ein runder, interessanter Charakter, und beide können das Buch gut tragen. Dass sich da eine Liebesgeschichte anbahnt, errät man früh, aber sie bleibt angenehm im Hintergrund, anders hätte es zu den beiden auch nicht passen wollen. Aber die heimliche Hauptfigur ist natürlich die Ziege, in einem Maß, dass es sich schon kalkuliert anfühlt. Dieses namenlose Tier, das sich so gern die Stirn kraulen lässt, wird relativ früh in der Handlung bei einem Angriff der Beinhäuser getötet, was sie aber nicht davon abhalten lässt, Ryn und Ellis zu begleiten und den Rest des Buches in fortschreitendem Stadium der Verwesung ihre treue Begleiterin zu sein.

Aber was als nettes Element anfängt – welches Buch hat schon eine untote Ziege? – nutzt sich schnell ab. Die Ziege rettet zu oft den Tag, kommt zu oft zur Hilfe geprescht, rammt zu oft aus dem Nichts aufrauchend ihre Hörner in einen Untoten, und ihr aufgeblähter Leib und der unappetitliche Geruch werden zu oft im Detail beschrieben, ohne dabei wirklich fühlbar zu werden. Dass diese Wunderziege auch noch jedes Hindernis überwinden kann, sei es seine Leiter, sei es ein großer See, verwundert dann nicht weiter. Wirklich, die Ziege wird überstrapaziert, ist zu präsent, auch da, wo es wirklich nicht mehr logisch erscheint.

The Bone Houses wartet mit ein paar Plotwendungen auf, die wohl überraschende Knallmomente sein sollten, die ich aber sehr früh vorhergesehen habe, aber ich bin berüchtigt darin, Plots zu knacken, indem ich sie aus Autorensicht analysiere und immer schaue, wie ich ein Buch selbst geschrieben hätte. Ein paar Stellen habe ich dann nicht kommen sehen, aber das meiste hat sich für mich sehr früh angekündigt – was der Geschichte jetzt erstaunlich wenig abträglich ist, denn sie ist rund und trotz einiger Längen (zu! viele! Kämpfe!) überzeugend. Nur weswegen manche Beinhäuser ohne Sinn und Verstand angreifen, während andere sich intelligent und freundlich verhalten, wird nie beantwortet, und davon hängen doch einige Wendungen des Buches ab. Ich hätte mir da mehr Stringenz und Logik gewünscht.

So war es alles in allem ein nettes Buch, aber es hätte besser sein können. Es hatte deutlich weniger Wales, als ich mir erhofft hatte, und fühlte sich zeitlos im schlechtmöglichsten Sinne an – das Setting war mir einfach nicht greifbar genug. Wen das nicht stört, wer nicht die eigenen Erinnerungen an Wales immer im Hinterkopf hat und versucht, die Bilder des Buches damit abzugleichen, der kann mit dem Buch eine schöne Geschichte erleben. Für Emily Lloyd-Jones war der Erfolg von The Bone Houses der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Wales-inspirierten Büchern – keine Fortsetzungen, alle in sich abgeschlossene Geschichten – aber ich bin noch nicht sicher, ob ich gerade noch mehr von diesem zu stark amerikanisierten Wales lesen möchte. Kein schlechtes Buch – aber ich hatte einfach mehr erwartet.

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